Richard A. Werner, Neue Wirtschaftspolitik

  • Ein sehr sehr gutes Buch!


    Richard A. Werner, Neue Wirtschaftspolitik, Verlag Vahlen, Muenchen, 2007.


    Das Buch ist von der Form her etwas abstossend, sehr langatmig, und er zitiert wirklich jeden, der jemals an VWL gearbeitet hat. Wer Gedult hat, wird aber mit einem absolut brillianten Inhalt belohnt.


    Werners Forschungsgebiet ist die Kredittheorie des Geldes. Das Buch ist so etwas wie ein Ueberblick ueber seine Arbeit. Ich versuche mal, den Gedankengang hier zu skizzieren.


    1. Geld ist nicht Bargeld oder Sichteinlagen oder Termingeld oder Mindestreserven, sondern Geld ist Kredit. Daher ist das richtige Mass fuer die Geldmenge in der VWL nicht M0, M1, ..., M3 etc, sondern das gesamte Kreditvolumen.


    2. Die Zentralbank und die Geschaeftsbanken spielen eine Sonderrolle in der Wirtschaft, denn sie sind die einzigen, die Kredit, also Geld, erzeugen koennen. Das zeichnet sie vor allen anderen Finanzfirmen (Fonds, Broker, Private Equity, Versicherung, usw) aus. Die anderen sind nur Vermittler, aber die Zentral- und Geschaeftsbanken koennen Geld schoepfen, d.h. aus dem Nichts erzeugen.


    3. Der Markt fuer Kredit wird nicht durch den Preis, also den Zins, ins Gleichgewicht gebracht. Es findet auch keine Marktraeumung zum Gleichgewichtspreis statt, sondern Kredit ist knapp und wird durch das Angebot bestimmt. Ist gibt immer genug Nachfrage nach Kredit.


    Die Bestaetigung folgt weiter unten. Wer unbedingt eine plausible Erklaerung moechte, denke daran, dass man in fast allen Kapitalgesellschaften begrenzte Haftung, aber unbergrenzte Chance hat, dass sich also das Eingehen von Risiken ueberproprtional lohnt. Aehnlich fuer Privatleute, die im schlimmsten Falle privat insolvent werden, die aber danach bei Null anfangen koennen und nicht in die Sklaverei verkauft werden.

  • 4. Es ist daher nicht die Geldmenge M0, M1 oder was auch immer, sondern das Kreditangebot, das die Wirtschaft treibt. Die Quantitaetsgleichung muss daher angepasst werden. Aus


    MV=PT


    (Geldmenge M, Umlaufgeschwindigkeit V, Preis P, reales Transaktionsvolumen T) wird


    CV=PT


    (C=Kreditvolumen). Wenn (!) die Umlaufgeschwindigkeit konstant ist, kann man das als


    C=kPT


    verstehen, k konstant.


    5. Auf der rechten Seite steht das reale Transaktionsvolumen T. Oft wird behauptet, dass T proportional zum realen Bruttoinlandsprodukt Y ist. Das stimmt aber nicht. Nur ein Teil der Transaktionen gehen in das reale BIP ein. Ein anderer Teil sind reine Finanztransaktionen. Daher wird die Quantitaetsgleichung in beide Komponenten zerlegt.


    C_R = k_R P_R Y (BIP wirksam)
    C_F = k_F P_F Q_F (Finanztransaktionen, Q_F = Menge der Finanzanlagen).


    6. Werner zeigt dann Regressionsanalysen mit den Daten der japanischen Wirtschaft fuer den Zeitraum 1980 bis 2000.


    Bei allen traditionellen Geldmengendefinitionen (z.B. M2+CD) ist die traditionelle Quantitaetsgleichung MV=PY verletzt, was sich in der Rechnung daran zeigt, dass V nicht mehr konstant ist. Das wird offenbar manchmal als unerklaerliche Abkopplung der Realwirtschaft von der Geldmenge bezeichnet, zeigt aber eigentlich nur, dass es das Modell nicht tut.


    Werner nimmt dann Daten ueber das Kreditvolumen von der Bank of Japan und teilt es ganz grob in C_F (Immobilien, Kredite an andere Finanzfirmen) und C_R (der Rest) ein.


    Die Regressionsanalyse bestaetigt


    a) Die Ausweitung von C_F in den 80ern erklaert den Anstieg der Immoboilienpreise (Q_F ist etwa fix, also kann nur P_F wachsen).


    b) Das Schrumpfen von C_R in den 90ern erklaert das sinkende nominale BIP (=P_R Y), also die Kombination aus Deflation und realer Schrumpfung.


    Die taditionelle Theorie mit der Annahme, dass der Zins ein Marktpreis fuer Kredit ist, kann das nicht erklaeren, wohl aber die Annahme, dass Kredit knapp ist und durch das Angebot bestimmt wird.


    7. Mit einer aehnlichen Rechnung zeigt Werner, dass der Zins, weder der Leitzins aka Diskont oder Repo, noch der Marktzins fuer 10-jaehrige Staatsanleihen das zukuenftige BIP kontrolliert. Im Gegeteil: der Zinssatz hinkt der Wirtschafsentwicklung hinterher !

  • 8. Jetzt kann man noch das reale BIP aufteilen


    Y = C + I + G + X


    (C=Konsum, I=Investitionen, G=Staatsausgaben, X=netto Exporte) und versuchen herauszufinden, wofuer die Kredite verwendet werden, also getrennte Quantitaetsgleichungen aufstellen mit C_C (Konsumentenkrediten), C_I (Krediten fuer Investitionen), C_G (Krediten an die Regierung; Warnung: Das sind Bankkredite, die fuer Staatsausgaben verwendet werden), usw.


    9. Fazit:


    a) Ein Anstieg der Konsumentenkredite C_C erhoeht die Konsumentenpreise P_C, da er das reale Gueterangebot C nicht erhoehen kann. Inflation!


    b) Ein Anstieg von Krediten fuer Finanztransaktionen C_F erhoeht die Preise der Finanzalnagen, da er das reale Angebot nicht aendern kann.


    c) Ein Anstieg von Krediten fuer Investitionen C_I ist das einzige, was nicht nur die Presie, sondern auch die Guetermenge erhoehen kann. Also das einzige, das zu realem Wachstum fuehren kann.


    10. Jetzt kann man damit Politik machen.


    a) Die Banken haben extreme Macht, da sie entscheiden, wie sich das knappe Kreditvolumen auf C_C, C_I, C_F usw verteilt.


    Einige Laender, die durch gezielte Eingriffe in die Taetigkeit der Geschaftsbanken C_I steuern und C_C, C_F bremsen (Deutschland und Japan nach dem 2. Weltkrieg, China in den 90ern) hatten tatsaechlich bestaendiges, sehr hohes, reales Wachstum.


    Die EZB hat zwischen 2000-2004 das Kreditvolumen hauptsaechlich an der EU-Peripherie ausgeweitet (allerdings nicht nur C_I, sondern auch C_F und damit die Immobilienblasen in Irland und Spanien aufgepumpt), aber nicht in Deutschland und Frankreich. Entsprechend lau war das Wachstum in D und F. Den Mechanismus, mit dem die EZB das steuert, verstehe ich nicht, aber sie hat dadurch eine extreme Macht, die die Regierungen nicht so richtig durchblicken.


    b) Ein Konjunkturprogramm der Regierung ist nur wirksam, wenn dadurch das Kreditvolumen ausgeweitet wird. Staatsanleihen begeben reicht nicht. Dadurch wird nur Geld umgebucht, aber kein neues Geld geschaffen. Schlimmer noch, jedes staatliche Konjunkturprogramm muss privaten Konsum oder private Investitionen verdrangen, sofern nicht die Geldmenge ausgeweitet wird. Was gehen koennte, waere entweder, dass die Regierung bei den Banken Kredite aufnimmt. Dadurch wird neues Geld erzeugt, das das BIP heben kann. In der Tat hat Deustchland das nach dem Krieg so gemacht. Was auch geht, ist, dass die Zentralbank Anleihen aufkauft, was also die Fed derzeit macht.


    11. Und man kann ueberlegen, in wieweit dieses Verstandnis die eigenen Anlageentscheidungen unterstuetzt.


    Produziert die Fed wirklich Inflation, wenn sie Hypothekenanleihen aufkauft? Sind die Europaeer vielleicht die Deppen, weil sie ihre Konjunkturpackete nicht monetarisieren?


    Viel Spass beim Lesen wuenscht


    Balkenchart

  • Zitat

    Original von Balkenchart


    1. Geld ist nicht Bargeld oder Sichteinlagen oder Termingeld oder Mindestreserven, sondern Geld ist Kredit. Daher ist das richtige Mass fuer die Geldmenge in der VWL nicht M0, M1, ..., M3 etc, sondern das gesamte Kreditvolumen.


    Die These "Geld ist Kredit" ist nicht neu. Sie wurde schon in den 80er Jahren von Paul C. Martin formuliert ("Der Kapitalismus - Ein System, das funktioniert") - Der Untertitel ist ironisch zu verstehen. Im Gegensatz zu Werner ist dieses Buch sehr populistisch geschrieben. Martin haut fast die gesamte Ökonomenzunft in die Pfanne, wie sie nur so dumm sein konnte Geld nur als Tauschmittel zu betrachten.


    Die Erkenntnisse Martins gehen z.T. auf Otto Steiger zurück, der mit Gunnar Heinsohn vor wenigen Jahren die Theorie in "Eigentum, Zins und Geld" ausformuliert hat. Ich habe das Buch noch nicht gelesen, es steht aber auf meiner Kaufliste.

    "I am not buying anything right now. I am mainly looking out the window." (Jim Rogers, Feb. 2012)

  • Steiger/Heinsohn steht bei mir auch noch im Schrank :)


    --


    Demnach führt es zu Inflation, wenn der Kredit für Konsum stärker wächst als der für Investition, es müssen dazu aber auch Lohnsteigerungen möglich sein, sonst gibt es keine höheren Preise.


    Kredit ist ja ein endloses Thema. In gewisser Weise befinden wir uns in einer Welt der Überflüsse, denn wenn du dir auf Kredit für 100k ein Haus baust, kommen alle möglichen Leute und stellen dir das Haus hin, ohne daß du bezahlst. Du begleichst natürlich die Rechnungen, schuldest das Geld aber einer Bank, die es bekanntlich nur herbeigebucht hat.


    Dh, es gibt offenbar einen gewissen Leistungsdruck, es treibt die Leute zur Lieferung.

    Auch unsere Gedanken sind wircksame Factoren des Universums. Novalis


    Everything will be allright!

  • Bzw, per saldo wird gespart - mindestens die Abschreibungen und Wertberichtigungen. Wo dieser Überfluss wohl herkommt, wo doch nur hochrational gegen Gegenleistung geleistet wird?

    Auch unsere Gedanken sind wircksame Factoren des Universums. Novalis


    Everything will be allright!

  • Zitat

    Original von Lando
    es müssen dazu aber auch Lohnsteigerungen möglich sein, sonst gibt es keine höheren Preise.


    Ich glaube, da wuerde Werner nicht zustimmen. Mit einem Wachstum an Verbraucherkrediten trifft mehr Geld auf ein unveraendertes Angebot. Inflation. Das geht auch bei konstanten Loehnen.


    Balkenchart

  • Klingt alles sehr interessant und ähnelt dem Gedankengang, den ich hier mal geäußert hatte, und MMI schrieb einmal, das die VWL die Finanzmärkte ignorieren würde. Werner scheint an diesem Defizit zu arbeiten.


    Das Buch ist in jedem Fall mal bestellt.

    Und irgendwann werden sie feststellen, dass man gendergerechte Sprache nicht essen kann (fefe).

    Einmal editiert, zuletzt von nixda ()

  • Paßt das wirklich? Ich bin mit der VWL-Terminologie nicht vertraut, aber "I=S" bedeutet doch "Investitionen=Ersparnisse", und genau das ist doch der Trugschluß, denn die Investitionen werden gerade nicht nur aus Omas Erspartem getätigt (und würden damit ggf. von deren Konsum verdrängt werden), sondern aus Kredit, der vom Bankensystem ex nihilo geschaffen wird.


    Hier habe ich eine Buchbesprechung verlinkt:
    http://www.antizyklischinvesti…hp?postid=81477#post81477

    „Lasst uns doch die Quadratur des Kreises probieren.“Robert Habeck über sein Politikverständnis

  • Meiner Meinung nach können die Preise nur steigen, wenn die Nachfrage nicht nachlässt und die Konkurrenten mitziehen.


    Bsp.: Sixt hatte in der Vergangenheit Probleme Preiserhöhungen durchzusetzen.


    Bsp.: Spritpreise, einer dreht - alle folgen


    Das die Banken Geld schöpfen sehe ich nicht als Problem, sondern das sie dieses Luftgeld lieber selbst einsetzen, als es zu verleihen! Bzw sind die Ansprüche an den Kreditnehmer viel höher, als der Eigeninvestitionen!

    »In meinem Alter begreife ich, dass Zeit mein kostbarster Besitz ist.«
    »Freiheit bedeutet, dass man nicht unbedingt alles so machen muss wie andere Menschen.«
    »Eine Aktie zu verkaufen die fällt, ist in etwa so, als ob man ein Haus für 100.000 Dollar kauft und es verkauft, sobald jemand 80.000 Dollar dafür bietet.«
    Buffett

    Einmal editiert, zuletzt von dev ()

  • Zitat

    Original von Winter
    Paßt das wirklich? Ich bin mit der VWL-Terminologie nicht vertraut, aber "I=S" bedeutet doch "Investitionen=Ersparnisse", und genau das ist doch der Trugschluß, denn die Investitionen werden gerade nicht nur aus Omas Erspartem getätigt (und würden damit ggf. von deren Konsum verdrängt werden), sondern aus Kredit, der vom Bankensystem ex nihilo geschaffen wird.


    Doch, weil I=S nichts mit dem Geldsystem sondern mit realen Gütern zu tun hat.


    Alles, was in einer Periode produziert wird (Y), wird in der selben Periode entweder konsumiert oder gespart -> Y = C + S.


    Die Nachfrage nach Gütern in der Volkswirtschaft ist die Summe aus Konsum- und Investitionsnachfrage => Y = C + I.


    Aus beidem folgt dann I = S.


    NB: Deshalb ist das Umlagesystem der Rente unter gewissen Gesichtspunkten auch anders zu betrachten als das private Vorsorgesparen. Das private Vorsorgesparen ist begrenzt durch die Investitionsnachfrage. Da das in Deutschland intern nicht mehr klappt, muss das Geld dann nach Griechenland verliehen werden.

    Und irgendwann werden sie feststellen, dass man gendergerechte Sprache nicht essen kann (fefe).

    Einmal editiert, zuletzt von nixda ()

  • Wirklich eine interessante Theorie - ich finde vor allem die Aufgliederung der Geldmenge in verschiedene "Anwendungsbereiche" nachvollziehbar.


    Womit ich aber ein Problem habe, ist die Annahme, dass die Welt nur so nach Krediten lechzt. Wie Balkenchart es übersetzt:


    Zitat

    Original von Balkenchart
    Ich glaube, da wuerde Werner nicht zustimmen. Mit einem Wachstum an Verbraucherkrediten trifft mehr Geld auf ein unveraendertes Angebot. Inflation.


    Das klingt so, als wäre wirklich jeder scharf darauf, sich bis über den Kragenknopf zu verschulden. Vielleicht ist das in den USA so, aber in den mittelständischen Unternehmen, die ich kenne, waren die Firmengründer stolz darauf, auf Banken nicht angewiesen zu sein. Meine europäischen Bekannten im Privatbereich (größtenteils) sowieso.


    Gilt die Analyse von Werner nur für die USA und Japan?

  • In dem Buch das ich eben gelesen habe The Origin of Financial Crisis findet man auch ein paar ganz interessante Gedanken zum Thema Kreditschöpfung.


    Der interessanteste war, dass eben KEIN Gleichgewicht an Finanzmärkten herrscht. So wächst mit steigenden Assetpreisen sowohl die Nachfrage wie auch das Angebot an Krediten (z.B. über Wertpapierkredite) ohne dass ein Gleichgewicht erreicht wird.


    MMI

  • Zitat

    Original von witchdream
    Das klingt so, als wäre wirklich jeder scharf darauf, sich bis über den Kragenknopf zu verschulden. Vielleicht ist das in den USA so, aber in den mittelständischen Unternehmen, die ich kenne, waren die Firmengründer stolz darauf, auf Banken nicht angewiesen zu sein. Meine europäischen Bekannten im Privatbereich (größtenteils) sowieso.


    Gilt die Analyse von Werner nur für die USA und Japan?


    In dem Buch sind die detaillierten Rechnungen nur fuer Japan aufgefuehrt. Werner hat sich offenbar hauptsaechlich mit Japan beschaeftigt.


    Sein Argument funktioniert aber, sobald Kredit rationiert ist und der Zins daher kein Gleichgewichtspreis ist. Das ist schon dann der Fall, wenn der Banker entscheiden kann, ob er lieber einem Mittelstaendler (der danach fragt) oder einem Konsumenten das Geld leiht, zum selben Zins.


    Einen Gleichgewichtspreis haette man nur, wenn es eine faire Auktion von Bankkrediten gaebe, bei der der Preis, also der Zins, durch die Auktion bestimmt wuerde, und zwar anonym, also ohne Ansehen des Bieters oder Bietenden. Ich finde es sehr plausibel, dass diese Annahme unrealistisch ist.


    Werner sagt, dass im Gleichgewicht die Bankkredite zu einem sehr viel hoeheren Zins ausschliesslich fuer riskantere Projekte vergeben wuerden, dass die Banken aber tatsaechlich (auch schon im Eigeninteresse) weniger Kredite zu einem niedrigeren Zins vergeben, aber dafuer an Schuldner, die sie sich genauer aussuchen.


    Balkenchart

  • Das erscheint mir auch nicht nachvollziehbar bei Werner und ich hätte ohne weiteres Nachdenken gesagt, es ist sogar genau umgekehrt: Nicht jeder will sich verschulden - dazu muß es immer einen Grund geben, z.B. wenn es nur schlechte Aussichten gibt, mehr als den Fremdkapitalzins zu verdienen, lohnt sich das für Unternehmer nicht, oder bei Immobilienkäufen für Privatpersonen genauso (mehr als ein Haus braucht sowieso keiner), und Verbraucherkredite sind doch eine sehr mentalitätsabhängige Sache, wie witchdream schon schrieb -, aber jeder, der die entsprechende Bonität oder Sicherheit mitbringt, bekommt auch einen Kredit. Daß nicht jeder oder jedes Unternehmen einen Kredit bekommt, liegt eher an der Risikoscheu der Banken. Wenn ich aber eine ausreichende Sicherheit bieten kann, dann wäre die Bank doch blöd, wenn sie das risikolose Geschäft nicht eingehen würde. Eine Begrenzung stellen nur die regulatorischen Anforderungen dar, z.B. Kernkapitalquote etc. Riskantere Projekte hängen von der (selbstverständlich immer subjektiven) Risikoeinschätzung ab, so daß das Ausfallrisiko mit einem Renditeaufschlag angemessen abgedeckt werden sollte.

    „Lasst uns doch die Quadratur des Kreises probieren.“Robert Habeck über sein Politikverständnis

  • Ich finde das durchaus nachvollziehbar. Die Banken sind schon anhand ihrer Mindestreserven und EK-Vorschriften in der Kreditvergabe in der Menge beschränkt. Zudem können sie die Menge, die sie vergeben wollen, noch stärker einschränken und auf die drei Bereiche Cc, Cf und Ci verteilen. Es kommt sozusagen zum Crowding Out zwischen den verschiedenen Kreditarten. Das amerikanische Problem würde aus Werners Sicht darin liegen, dass das Kreditangebot nach Cc und Cf gegangen ist, aber kaum nach Ci.


    Ob das Kreditangebot markträumend für die Kreditnachfrage ist, ist vielleicht nicht ganz zwingend. Aber für eine größere Nachfrage an Krediten als die Beschränkung des Angebots ist es nicht notwendig, das jeder einen Kredit nachfragt.


    Zitat

    Wenn ich aber eine ausreichende Sicherheit bieten kann, dann wäre die Bank doch blöd, wenn sie das risikolose Geschäft nicht eingehen würde.


    Mein Eindruck ist eher der, dass sich bei den Banken eine ziemliche Hosenscheißermentalität breitmacht, plus alles, was nicht in die Eingabemaske des Computers zur Kreditwürdigkeitsscoreberchnung taugt, überhaupt keine Chance hat. D.h. Banken tatsächlich restriktiv handeln, wobei ein Teil des Problems aus Sicht der Banken sicher im Principal Agent Problem liegt.


    Aus der Perspektive der Banken ist es überhaupt nicht notwendig, irgendwelche Ci zu vergeben. In Prinzip sind die risikobehaftet, weil schwer einschätzbar, Beratungsintensiv und Kleinkram gegenüber mal eben 10 Mrd an einen Hedgefond und rüberschieben, und die Mark-to-Market bepreisten Papiere dafür zu verpfänden.


    Die Realwirtschaft wird dann natürlich abgewürgt.

    Und irgendwann werden sie feststellen, dass man gendergerechte Sprache nicht essen kann (fefe).

    2 Mal editiert, zuletzt von nixda ()

  • Zitat

    Original von nixda
    Aus der Perspektive der Banken ist es überhaupt nicht notwendig, irgendwelche Ci zu vergeben. In Prinzip sind die risikobehaftet, weil schwer einschätzbar, Beratungsintensiv und Kleinkram gegenüber mal eben 10 Mrd an einen Hedgefond und rüberschieben, und die Mark-to-Market bepreisten Papiere dafür zu verpfänden.


    Die Realwirtschaft wird dann natürlich abgewürgt.


    Ich denke, wenn man Werners Rechnung auf die USA anwenden wuerde, dann koennte man sehen, dass die Verschiebung vom Industrieland zum Konsumenten auf Pump (ca 1985 bis 2007) von den Kreditvolumina angezeigt wird. Das sollte mit den Fed Flow of Funds Daten moeglich sein. Ich hatte schon ueberlegt, so eine Rechnung selbst zu versuchen, aber vielleicht hat der Werner dazu schon etwas publiziert. Muss ich mal suchen.


    Die zweite Frage ist, ob man in den Flow of Funds Daten eine gute Schaetzung fuer C_f findet, bzw fuer C_f ohne Immobilien, und ob die mit den (zukuenftigen) Aktienkursen korreliert. Ich halte es fuer moeglich, dass etwas in dieser Art funktioniert.


    In Werners Daten fuer Japan laeuft das Kreditvolumen fuer Hypotheken und an Finanzfirmen ex Banken den Immobilienpreisen um 3 Quartale voraus (zumindest signifikanter als 2 oder 4 Quartale). Bei Wertpapierkrediten an Hedge-Fonds duerfte die Zeitverzoegerung aber deutlich geringer sein. Bei Krediten an private Equity-Firmen hat man vielleicht genug Zeit.


    Das hier koennte die spannendste Diskussion zum Thema Market Timing werden.


    Balkenchart

  • Zitat

    Original von Balkenchart


    Ich denke, wenn man Werners Rechnung auf die USA anwenden wuerde, dann koennte man sehen, dass die Verschiebung vom Industrieland zum Konsumenten auf Pump (ca 1985 bis 2007) von den Kreditvolumina angezeigt wird.


    Lustig, dass du das erwähnst. Mir hat ein Bekannter das Buch "Die Abwracker" von Hans-Olaf Henkel (ehemal. BDI-Präsident) geliehen. Stellenweise sehr flach, aber ein Fakt in dem Buch zum Thema Finanzkrise war mir völlig neu: Laut Henkel war die Vergabe von subprime-Krediten an "unterprivilegierte Minderheiten" seit Jimmy Carter politisch erwünscht bzw. erzwungen. Zitat aus dem Buch:


    Zitat

    Carters Gegenmaßnahme, am Tag seiner Brandrede gegen die Slums unterzeichnet, war der Housing and Community Development Act, der die staatliche Förderung von privatem Hauseigentum und das kommunale Wiederaufbauprogramm regelte - berühmt wurde sein Abschnitt VIII, genannt Community Reinvestment Act. Der entscheidende Passus ging rein über staatliche Maßnahmen hinaus, da es Banken fortan untersagt war, bei der Kreditvergabe zwischen normalen Wohngegenden und Slums zu unterscheiden. [...]
    Die Konsequenzen dieses patriotischen Aufbruchs gingen weit über die Wiederbelebung der verslumten Stadtteile hinaus. Die Aufforderung, bei der Kreditvergabe ein Auge zuzudrücken, machte Schule.


    Laut Henkel wurde das Prinzip in den folgenden Jahrzehnten intensiviert und perfektioniert, bis hin zum "outsourcing" des Risikos bei deutschen Landesbanken...


    Kurz gesagt: Die Abwendung der US-Banken von Investitionsfinanzierung hin zu privaten subprime-Privarkrediten beruht möglicherweise auf politischem Druck. Das würde die Kreditvergabe der Banken in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen.

  • #witchdream,


    dass der "Housing and Community Development Act" an der Subprimekrise schuld sein soll, gehört meines Erachtens ins Reich der Legenden.


    Eine ganz gute Gegenüberstellugn gibts bei Wikipedia http://en.wikipedia.org/wiki/Community_Reinvestment_Act


    Meines Erachtens ist und bleibt der Henkel ein Vollidiot. Country Wide et al wurden sicher nicht gezwungen Subprime Kredite zu machen, das war schlicht deren Geschäftsmodell und ist dann im Größenwahn schief gegangen..


    MMI

  • Zitat

    Original von memyselfandi007
    dass der "Housing and Community Development Act" an der Subprimekrise schuld sein soll, gehört meines Erachtens ins Reich der Legenden.


    Eine ganz gute Gegenüberstellugn gibts bei Wikipedia http://en.wikipedia.org/wiki/Community_Reinvestment_Act


    Der Wiki-Artikel bestätigt eigentlich genau das, was Henkel schreibt: Nämlich, dass es in den USA politischen Druck auf die Banken gab, Immobilien-Kredite an "Minderheiten" zu vergeben. Diese Tatsache war mir jedenfalls bisher völlig unbekannt. Wurde m.E. auch nicht hier im Forum erwähnt.


    Wenn du Henkel für einen Vollidiot hältst, ist das dein Ding. Ich halte ihn - seinem Buch nach - zumindestens für äußerst eitel und politisch nicht neutral. Das ändert aber nichts daran, dass eine gesetzliche Steuerung der Kreditvergabe ziemlich gaga wäre. Und genau das scheint in den USA stattgefunden zu haben.


    Wie Henkel es formuliert:


    Zitat

    Im Jahr 1995 stellte Clinton, wie er stolz vermerkte, seine "Nationale Wohneigentumsstrategie" vor, mit der er "zwei Drittel der Bevölkerung zu Wohneigentümern machen" wollte, was dank der niedrigen Hypothekenzinsen "erstmals in der Geschichte erreicht wurde".
    [...]
    Jedenfalls kamen damals auch jene Amerikaner in den Genuss von Krediten, die als Geringverdiener oder Arbeitslose weder über das nötige Einkommen noch über irgendwelche Vermögenswerte verfügten. [...] Ein anderes Wort, das in jenen Jahren populär wurde, war das der "Demokratisierung des Kredits".
    Verweigerte sich eine Bank dieser populären Maßnahme, traten Rechtsanwälte auf den Plan, die das Kreditinstitut wegen Diskriminierung verklagten - ein Vorwurf, der in den USA ähnlich gravierende Folgen hat wie die Äußerung unerwünschter politischer Ansichten bei uns. Immobilienkredite ließen sich einklagen wie Grundrechte.Nach einer amtlichen Definition lag Diskriminierung dann vor, "wenn die zu unterschreibende Police willkürliche und veraltete Kriterien enthalten, durch die viele Antragsteller aus städtischen oder geringverdienenden Minderheiten ausgeschlossen werden" - wobei gerade jene Kriterien als "willkürlich und veraltet" abqualifiziert wurden, die für eine seriöse Kreditvergabe entscheidend sind: Nachweise über Einkommen, Kreditverhalten und Ersparnisse.