Die Königin der Value-Kennzahlen: KPV

  • The world is full of kings and queens...


    Wenn es die einzelne Kennzahl gibt, die am meisten wiegt, dann ist das für mich die folgende:
    KPV = Kurs / (Umsatz * mittlere Marge der letzten n Jahre); n = 10


    Joe und ich, wir nennen diese Kennzahl das KPV bzw. KPV10: Kurs-zu-Potential(marge)-Verhältnis. Oder als Kehrbruch: PKV.


    Das ist eine Berechnung analog des herkömmlichen KGV10s, hat aber gravierende Vorteile gegenüber diesem:
    - Sowohl Wachstum als auch Schrumpfung werden adäquat berücksichtigt, denn statt die logischerweise niedrigeren Gewinne einer Firma heranzuziehen, die vor Jahren z.B. noch einen halb, drittel oder viertel so hohen Umsatz machte, wird nur der aktuelle Umsatz genommen, der damit als nachhaltig unterstellt wird. Das dürfte bei starken Zyklikern auch nicht ganz hinkommen - ich habe mit Joe deshalb darüber diskutiert, ob man auch noch den Umsatz noch über die letzten drei Jahre oder so normalisieren sollte, wir haben aber doch dann davon Abstand genommen, da man das eben ggf. "manuell" berücksichtigen muß. Die eigentliche Ertragsstärke bemißt sich viel besser anhand der Umsatzmarge als an den absoluten Gewinnen. Noch besser wäre eigentlich die EBIT-Marge (abzüglich aktueller Zinslast und normalisierter Steuerquote), da sich meiner Meinung nur daran die Rückkehr zum Mittelwert festmacht, d.h. operativ und unabhängig von der Finanzierung, und da sich über längere Zeiträume schließlich die Finanzierung verändern kann. Aus praktischen Gründen kann man zum Screenen aber bei der Nettomarge bleiben.


    - Die bisherige Königin der Value-Kennzahlen, das KUV, wird damit abgelöst. Diese funktionierte meiner Meinung nach vor allem deshalb so gut, weil sie in sich schon die Normalisierung der Gewinnmarge unterstellt. Bei gleicher unterstellter zukünftiger Marge kauft man mit dem günstigeren KUV auch das günstigere KGV. Allerdings ist sie mit einem gravierenden Mangel behaftet: Es gibt meiner festen Überzeugung nach eine Rückkehr zum Mittelwert innerhalb eines Geschäfts, d.h. auch innerhalb einer Branche (auch hier wiederum: theoretisch genauer wäre EV/Umsatz), aber nicht zwischen verschiedenen Geschäften! Ein Großhändler wird niemals die gleiche Marge erzielen wie eine Pharma- oder Technologiefirma. Der Grund hierfür liegt darin, daß die primäre Normalisierung in einer Marktwirtschaft durch den Wettbewerb auf Ebene der Kapitalrendite erfolgt (genauer: der Gesamtkapitalrendite). Das ist das, wonach das Kapital strebt, und fast unvermeidlich wird jede Überrendite hierin auf Dauer rasiert, eben weil (und wenn) der Wettbewerb funktioniert; Umsatzrenditen hingegen interessieren eigentlich niemanden. Das wäre vom falschen Ende her gedacht. Eine Technologie- oder Pharmafirma muß wesentlich mehr Kapital im Vorfeld investieren und benötigt deswegen selbstverständlich höhere Gewinnmargen, wohingegen der Großhändler angesichts des relativ zu seinen Investitionen hohen Außenumsatzes schon mit sehr kleiner Umsatzrendite auskömmlich leben kann. Trotz alledem funktionierte aber das KUV im Mittel dennoch hervorragend als mechanische Kennzahl, obwohl vermutlich vor allem generell (oder aber nur aktuell zyklisch?) margenschwache Branchen selektiert wurden - und ein paar stark antizyklische andere Aktien dazu; im Mittel aber doch innerhalb verschiedener Branchen die jeweils günstigsten (mit vermutlich aktuell unterdurchschnittlichen Gewinnen).
    Das KPV macht das KUV insofern überflüssig, als daß es dessen Aussage bereits beinhaltet. Die mittlere Marge, zu der langfristig die Rückkehr erfolgen sollte, wird aus der eigenen Historie ermittelt, und diese sollte valider sein als die Annahme einer gedachten mittleren Marge über alle Geschäfte hinweg; zumal das KPV direkt verglichen werden kann mit dem bekannten KGV und damit eine vertraute absolute Aussage über die Preiswürdigkeit einer Aktie macht. Eine Firma mit historisch stets hoher Marge darf dementsprechend ein höheres KUV haben eine mit einer niedrigeren - genau das bildet das KPV ab. Die zusätzliche Betrachtung des KUVs wäre somit doppelt gemoppelt oder nur insofern sinnvoll, als daß die letzten zehn Jahre vielleicht nicht den "eigentlichen" langfristigen Mittelwert darstellen, sondern selbst nur ein Artefakt sind. (Z.B. wenn es innerhalb einer Branche noch unterschiedliche historische Gewinnmargen gab und man unterstellen möchte, daß sie sich künftig auch zwischen den Geschäften angleicht; u.U. ist das aber nicht gewünscht, weil es eben doch nachhaltige Unterschiede gibt, sei es nur wegen Wettbewerbsvorteilen einer Firma, dann genügt das KPV)


    - Das KGV10 wird selbstredend auch obsolet gemacht. Bei Firmen ohne großes Wachstum oder Schrumpfung kann aber der Einfachheit halber weiterhin das herkömmliche KGV10 berechnet werden. Jedoch berücksichtigt das KGV10 z.B. nicht die Inflation. Die betrifft natürlich alle Aktien innerhalb eines Marktes und ist somit für den Vergleich neutral, aber die absolute Aussage bzw. der Vergleich über die Zeit hinweg ("ist KGV10 = 15 nun billig oder nicht?") kann gerade bei hoher Inflation doch erheblich verzerrt werden. Sofern sich die Inflation im Umsatz niederschlägt, ist das KPV davon nicht betroffen.


    Max Otte ist wohl unabhängig auf die gleiche Kennzahl gekommen. Er schrieb einmal, daß er den fairen Wert ebenfalls berechnet, indem er die Umsatzmarge über einen kompletten Konjunkturzyklus normalisiert.


    Die gleiche Vorgehensweise wende ich auf den Cashflow an. Dort ist die Betrachtung eines einzelnen Jahres aufgrund der üblichen Schwankungen sowieso komplett sinnfrei, also das KCV - diese (TTM-)Kennzahl wird auch gleich mit überflüssig gemacht.

    „Wir haben die gesamte Führung fast aller Berliner Sicherheitsbehörden ausgetauscht und dort ziemlich gute Leute reingebracht." – Benedikt Lux, Grüne Berlin

    2 Mal editiert, zuletzt von Winter ()

  • hallo Winter,


    intuitiv finde ich das einen sehr guten Ansatz, den ich als Kontrollzahl übrigens seit einiger Zeit genauso verwende.


    Neben dem KPV rechne ich übirgens auch ein "EVEV" um in Deinem Jargon zu bleiben, das wäre


    Enterprise Value / akt. Umsatz* mittlere EBITDA Marge der letzten 10 Jahre


    Gerade beim Vergleich von Unternehmen mit verschieden hohen Verschuldungsgraden ist der Enterprise Value irgendwie aussagekräftiger, aber das ist Geschmackssache.


    Ein paar Einschränkungen muss man allerdings machen:


    Der Ansatz funktioniert nicht so gut wenn sich z.B. Geschäftsfelder ändern oder wenn z.B. ein Unternehmen wie KSB einen "dauerhaften" Sprung in der Marge nach oben macht oder nach einer Übernahme.


    Übernimmt z.B. Hochmargiges Pharmaunternehmen einen niedrigmargigen Pharmagroßhändler, würde die "Königin" plötzlich eine extreme Unterbewertung ausweisen aufgrund des stark gewachsenen Umsatzes und der historisch hohen Marge.


    Ich verwende deswegen diese Art der Analyse eigentlich für Zykliker bzw. Unternehmen die im betrachteten Zeitraum keine wesentlichen "Corporate Actions" hatten um mögliche "Mean reversion" Kursziele zu bekommen.


    MMI


    P.S.: Das gilt m.E. auch für RWE ;-)
    P.S.2: Das KPV ist aber vmtl. gut um die Schlotts dieser Welt zu erkennen. Die kommen leider beim KGV10 immer deutlich zu gut weg.

    2 Mal editiert, zuletzt von memyselfandi007 ()

  • Jetzt ist die Pandora aus der Box ;D


    Ich nutze die Kennzahl auch sehr gerne und nachhaltig. Ähnlich wie MMI versuche ich dabei auch die EBITDA-Marge, bzw. EBIT-Marge vor One-Offs (so sie denn wirklich "One" - sind) um das tatsächlich normalisierte Geschäft zu betrachten.


    Für zahlreiche Geschäfte ist die Kennzahl leider nicht sinnvoll - etwa wenn sich bestimmte Faktoren dauerhaft ändern. Bspw. wenn ein Unternehmen aufgrund von erworbenen Größenvorteilen eine dauerhaft höhere Marge erzielen kann - oder wenn innerhalb der letzten 10 Jahre größere Geschäftsbereiche gekauft/verkauft wurden.


    Firmen die 10 Jahre das gleiche machen sind ja leider eher seltener als häufiger anzutreffen...

    Value investing is at its core the marriage of a contrarian streak and a calculator - Seth Klarman

  • Erstmal schließe ich mich den positiven Kommentaren an, die Methode "KPV" ist 100%ig plausibel. Natürlich wäre, wie Balkenchart schon anregte, eine historische Langzeitstudie interessant, aber vom "Gefühl" her würde ich sagen: "It works on wall street (and anywhere else)"


    Natürlich sollte es ähnlich wie beim KUV oder KGV selbst abwechselnd gute und schlechte Zeitperioden geben, oder wie es der Erfinder des KUV sagte: Ein paar Jahre lang outperformen die Aktien mit niedrigem KUV die teuren Aktien, dann folgen ein paar Jahre, in denen Aktien mit niedrigem KUV von den teuren Aktien outperformt werden. U.s.w. Naja, ihr kennt ja offenbar alle O'Shaugnessy's Statistik, in der ersichtlich wird, daß auf lange Sicht die Kennzahlen hervorragend funktionieren.


    Eine Anmerkung zum KGV10:
    Die KGV10-Berechnung von Prof. Bob Shiller (Cyclically Adjusted P/E10 bzw. CAPE) berücksichtigt ausdrücklich die Teuerungs-Inflation. Ursprünglich benutze er einen wenig populären Produzentenpreisindex, seit einigen Jahren offensichtlich den Konsumentenpreisindex CPI.
    EDIT: Shiller's CAPE gilt zwar für den Gesamtmarkt, lässt sich aber natürlich auf einzelne Aktien anwenden, mit inflationsadjustierten Gewinnen.


    Anmerkung zur mean reversion:
    Hier stimme ich Winter ausdrücklich zu, mit einer mean reversion (Rückkehr zum Mittelwert) der Margen innerhalb eines Geschäftsbereichs oder einer Branche ist mittel- bis langfristig eigentlich (fast) immer zu rechnen. "Fast", weil: Das generelle Niveau der Margen hängt von der Reife bzw. dem Lebenszyklus des Unternehmens, bei einzeln betrachteten Produkten vom Produktlebenszyklus, ab. Ein Unternehmen, daß die mitunter kostenintensive Gründungsphase mehr oder weniger hinter sich hat, aber noch jung ist, und/oder ein innovatives Produkt verkauft, erzielt in dieser Phase sehr hohe Margen, die im Zeitverlauf dann immer niedriger werden. Beispiele hierfür sind wohl die neuesten Apple-Produkte, vielleicht auch Apple's Gesamtmarge, Microsoft, SAP, Samsung oder aber auch z.B. die Deutsche Börse u.s.w.


    Je "alteingesessener" ein Produkt, Unternehemen oder eine Branche, wie z.B. Automobilhersteller oder Fluglinien, desto besser sollte die mean reversion der Margen funktionieren.


    Aus Sicht des Value-Investors sollte das KPV also sehr gut funktionieren, da Aktien von Unternehmen mit neuen und innovativen Produkten meist (nicht immer! z.B. Samsung vor 9-13 Jahren) hoch bewertete "Modeaktien" sind, die für die meisten Value-Investoren sowieso wenig interessant sind.

    "Il y a à parier, que toute idée publique, toute covention recue, est une sottise, car elle a convenue au plus grand nombre!" (Sébastien-Roch Nicolas, aka Chamfort)

    Einmal editiert, zuletzt von Boersenreflex ()

  • ich halte einen 10-Jahresschnitt bei den Margen auch bei "alten" Unternehmen für fragwürdig...


    Telekoms: Wegfall lukratives SMS-Geschäft, algg. Preisverfall


    Pharma: Auslaufen von Patentschutz, gleichzeitig jedes 2. neue Medikament ist ein Biotech-Produkt, dazu Haupteinnahmequelle Staat ist pleite


    Versorger: Wegfall der abgeschriebenen AKWS


    Post: Wegfall des Briefgeschäfts, Wegfall des Monopols und Steuervorteilen, stärkere Konkurrenz bei Paketversand...


    Auch hängt der Schnitt ja auch immer davon ab, wieviel "gute" Jahre und wieviel "schlechte" Jahre waren in den betrachteten 10 Jahren...

  • .

    “It’s the little things that matter. It’s one thing to tell someone they look like the first day of spring. It’s another thing to tell them they look like the last day of a long, hard winter.” - Zig Ziglar

    Einmal editiert, zuletzt von Joe ()

  • Vielen Dank auch von meiner Seite für die Inspiration!


    In meinem Bewertungsmodell verwende ich bisher KUV, KGV10 bzw. KGV5 und einen Korrekturfaktor der die angenommene Rückkehr zur durchschnittlichen Marge abbildet.


    Von der Idee ähnlich, aber wohl nicht so elegant wie euer KPV-Ansatz.
    Kann mir daher gut vorstellen, dass ich den KPV-Ansatz übernehme.


    Gruß,
    woodpecker

    "Nicht Völker führen Kriege gegeneinander, sondern Regierungen führen Kriege gegeneinander"

    "If you act out of fear, anger, despair or suspicion - this will ruin everything." - Thich Nhat Hanh


  • Alle meine inflationsbereinigten KGV10 Angaben waren in Wirklichkeit KPV Angaben.
    Das ist der heilige Gral. Das bisher streng gehütete Geheimnis.


    @MMI:
    Wenn ein hochmargiges Pharmaunternehmen ein niedrigmargiges Pharmaunternehmen übernimmt, dann veringert sich die Marge ab diesem Übernahmejahr.
    Allerdings verändert sich auch der Umsatz, also das KUV.
    Da KPV = P/KUV, so wird das wieder relativiert.



    Beispiel (bei Markkapitalisierung = Aktienanzahl * Kurs =100), Zukauf der Firma B erfolgt durch eine Kapitalerhöhung von 20 mio)
    Alle Zahlen in mio Euro:
    Umsatz, Gewinn, Marge
    Jahr 1: 100, 10, 10%
    Jahr 2: 100, 10, 10%
    Jahr 3: 100, 10, 10%
    Jahr 4: 200, 12, 6% (Firma A hat 10% bei 100 mio, Fa. B 2% bei 100 mio)
    (edit: aus der 10 eine 12 gemacht, so wie von Guirillainvest angemerkt, siehe unten)


    P = (10%+10%+10%+6%)/4 = 9%


    KUV Jahr 1 = 100/100 = 1
    KUV Jahr 2 = 100/100 = 1
    KUV Jahr 3 = 100/100 = 1
    KUV Jahr 4 = 120/200 = 0.6


    KPV Jahr 3 = 0.1/1 = 10%
    KPV Jahr 4 = 9%/0.6 = 15%


    Tatsächlich besteht aber auch wirklich die Hoffnung, dass die Firma 9% auf diese 200 mio Umsatz macht ("P" steht für Potentialgewinn). Zum Beispiel waren die 10% Marge erzielt worden, weil Firma A eine Marke ist.
    Die Produkte der Firma B übernehmen diese Marke.


    Aber selbst wenn nicht: blickt man auf das KUV alleine, dann rutscht es von 1.0 auf 0.6. Die KUV Betrachtung ist in diesem Fall nicht besser.
    Auch die Margenbetrachtung alleine ist nicht besser: die Marge rutscht von 10% auf 6%. Darum ist die KPV betrachtung niemals schlechter als KUV oder Marge für sich alleine.
    Und darum ist das KPV die Königin aller Kennzahlen. Es macht die Betrachtung des KUV obsolet.



    Diese geniale KPV-Kennzahl (von Winter schon vor Jahren gefunden) erklärt auch den Grosshändler bias den Value immer nannte. Value sagte, er traut dem KUV der Grosshändler nicht.
    Die Grosshändler haben oft ein sehr niedriges KUV aber auch eine sehr niedrige Marge.
    Das KPV setzt P/KUV ins richtige Verhältnis. Und wenn ein Grosshändler noch so sehr seinen Umsatz per Umsatzdefinition aufbläht, das KPV wird sich nicht verändern.


    Aktien wie eine Bijou mit hohem KUV haben eine hohe Marge.
    Das KPV setzt es ins rechte Licht:
    P/KUV
    Das KPV von Bijou (bei Kurs 66,28 Euro) beträgt aktuell:
    Durchschnittsmarge der letzten 10 Jahre = P = 19%
    aktuelles KUV = 1.38
    KPV = 19%/1.38 = 13.8%
    Also ein eher guter Wert. (Problem ist nur, dass ich nicht an eine dauerhaft hohe Marge glaube, aber das will ich hier nicht diskutieren).
    Und nun ein Unternehmen mit niedriger Marge und niedrigem KUV:
    Renault:
    P = Durchschnittsmarge = 4.62%
    KUV = 0.206
    KPV= P/KUV = 22.5%


    Daraus folgt: Unternehmen mit höheren Margen dürfen ein höheres KUV haben als Unternehmen mit niedrigeren Margen.
    Hier trifft sich value mit growth, bzw. O'S-Anhänger mit Buffettologen.
    Marge ist ein "Buffetologischer" Wert (=Kursunabhängig)
    KUV ist ein kursabhängiger Wert.


    Der heilige Gral: "Value ohne Wachstum ist genauso abzulehnen wie Wachstum ohne Value".


    Gruss,
    Joe
    Es gibt noch weiter "Gräle", die Buffettologen und value in Einklang bringen. Diese werden weiterhin gehütet.

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    8 Mal editiert, zuletzt von Joe ()

  • Klar, die "Anwendungs-Beschränkungen" gibt es natürlich. Das trifft eigentlich auf sämtliche anderen Bewertungskennzahlen ebenfalls zu, trotzdem funktionieren diese nachgewiesenermaßen mechanisch. Auf das KPV vielleicht noch etwas mehr wegen des längeren involvierten Zeitraums. Aber man ist ja auch nicht gezwungen, alles zu kaufen, was im Filter hängen bleibt, wichtig ist doch vor allem, daß man gute Aktien findet - vor allem, wenn es um das Potential von Zyklikern im Tief geht. Eine empirische Bestätigung dafür habe ich bisher noch nicht, dürfte für uns Privatanleger auch unmöglich sein zu testen. Das wäre eher ein Fall für eine wissenschaftliche Arbeit.
    Ob es etwas gibt, was die Fortschreibung der Vergangenheit offensichtlich in Zweifel zieht, danach versuche ich dann nach dem ersten Filtern zu schauen (oder es der Forumsintelligenz zu überlassen). Reine Margenänderungen sind eigentlich etwas verdächtig, aber bei Einhell hatte ich auch stets nur auf die Jahre seit 2003 geachtet, in so einem Fall kann man das n=10 anpassen. Jedem Einzelfall wird man mechanisch nicht gerecht werden können; es ist natürlich nicht perfekt. Wollte man die (theoretisch) perfekte Kennzahl, müßte man ohnehin alle künftigen Gewinne, genauer freien Cashflows kennen, und die dann noch passend diskontieren - ähm, genau. ;)


    Letztendlich möchte ich aber auch keine Dissertation anfertigen, sondern es ganz praktisch in einer Datenbank anwenden, ohne mich zu sehr verheddern.


    Künftiges Wachstum oder weitere Schrumpfung können natürlich auch nicht berücksichtigt werden.


    Wenn man von meiner obigen Überlegung ausgeht, die dem ganzen zugrundeliegt (nämlich die mean reversion der Kapitalrendite), dann wäre die eigentlich richtige Kennzahl einfach das KBV (oder meinetwegen theoretisch EV/investiertes Kapital oder so). Bekanntlich gibt es dabei aber einige Probleme, da die Bilanzierung (=Rechnungslegungsvorschrift) nicht immer ganz unzweifelhaft ist, was sich z.B. in der Frage niederschlägt, wie der Goodwill zu werten ist, oder umgekehrt, daß nicht unbedingt alles tatsächlich investierte Kapital sich auch in der Bilanz niederschlägt (nicht aktivierte Forschungskosten) usw. Schon aus diesem Grund kann die KPV-Betrachtung wertvolle Hinweise liefern - vielleicht sogar bei Firmen, die sich dem Wettbewerb hartnäckig widersetzen und damit über den Zyklus hinweg hohe Kapitalrenditen erzielen (und somit ein hohes KBV haben, wie Bijou Brigitte, wobei ich in dem Fall nach wie vor Zweifel habe). Analog zum Tobinquotienten nach Smithers vs. dem CAPE nach Shiller hat man hier zwei mögliche, voneinander komplett unabhängige Zugänge zur Bewertung. Besonders schön ist es, wenn beide eine übereinstimmende Bewertungsaussage liefern.


    Buffett ist allerdings nach meinem bescheidenen Verständnis seiner Vorgehensweise [eigentlich zunächst] nicht damit in Einklang zu bringen, er steht der o.g. Ausgangsüberlegung sogar diametral entgegen, zumindest auf den ersten Blick. Denn der Mechaniker setzt auf die mean reversion der Kapitalrenditen, Buffett hingegen sucht genau solche Firmen, bei denen sie nicht eintritt, die vor dem Wettbewerb geschützt sind, und die zugleich hohe Kapitalrenditen erwirtschaften. Genaugenommen widerspricht sich beides nicht, sonst würde nicht beides funktionieren, sondern es ist so, daß das, was die Mechaniker unterstellten, im Allgemeinen (im Mittel) funktioniert, und das was Buffett unterstellt, nur im Besonderen (bei seinen Firmen). Entscheidend für die "Buffettologen" ist somit, daß sie ihr Geschäft verstehen (pun intended), für die Mechaniker nicht notwendigerweise. Wo beide Ansätze dann wieder vereint werden, ist daß beide bei sonst gleichen Bedingungen günstigere Value-Kennzahlen bevorzugen. [Wobei das KPV prinzipiell durchaus "Buffett-Aktien" finden könnte.]

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    Einmal editiert, zuletzt von Winter ()

  • Ich war ganz überrascht, dass es noch Neuwertiges von der KxV-Front geben kann. Glückwunsch an Winter und Joe, die diesen Coup gelandet haben.


    Die Vorteile des KPV springen einen als Mechaniker schon an: Ebenso langfristig ausgelegt wie das KGV10, aber basierend nicht auf volatilen Gewinnen, sondern auf langfristigen Margen auf einen stabilen Umsatz.


    Das klingt gut, fast zu gut. Ich mußte erst mal mental für mich selbst den advocatus diaboli spielen, um meine anfängliche Begeisterung unter Kontrolle zu bekommen. Inzwischen sind mir ein paar kritische Argumente eingefallen:


    - Das KPV ist bei Licht betrachtet eine Variante des KGV. Und das KGV hat bei Licht betrachtet in den empirischen Studien nie besonders toll abgeschnitten. Mein Bauch sagt mir, dass das KPV besser funktioniert als KGV oder KGV10, aber letztere sind ohnehin halbtote Pferde, oder zumindest müde Gäule.
    - Wirklich erhellend (für mich) ist, dass hohes KPV (neben niedrigem Kurs) basierend ist auf möglichst hoher Gewinnmarge bei möglichst niedrigem Umsatz. Hoher Gewinn bei niedrigem Umsatz! Das klingt nicht nur nach glamour-Aktien, das ist eine pure Form von glamour-Aktien. Also ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Dreman und Siegel als langweilige, aber profitable Dinosaurier beschreiben - die Art von Langeweilern, die man empirisch gesehen im Depot haben sollte.
    - Eine Bestätigung für meine Zweifel liefert Joe selbst, wenn er schreibt:


    Zitat

    Der heilige Gral: "Value ohne Wachstum ist genauso abzulehnen wie Wachstum ohne Value".


    Da liegt der Hase im Pfeffer: Es geht um Wachstum. Als Idealtyp Startups mit wenig Umsatz, aber hoch profitabel.


    Bei Licht betrachtet ist es diese Huldigung an Wachstum, die mich am meisten zweifeln läßt. Ich halte es für einen Kardinalfehler, bei einem Investment Wachstum vorauszusetzen. Es gibt hochprofitable Unternehmen, die in stagnierenden oder schrumpfenden Märkten operieren - man denke nur im Pharmabereich an gute Generikahersteller. Man denke an die Weltwirtschaft, wenn die Effekte der letzten Globalisierungswelle abebben.


    In stagnierenden Märkten dürften die ergiebigsten cash-cows angesiedelt sein. Und das "P" im KPV lenkt von diesen cash-cows ab.


  • Warum ist im 4. Jahr der Gewinn bei 10?
    Müsste doch 12 sein um auf 6 % Umsatzrendite zu kommen.

  • Noch mal zum Verständnis:
    Eine Firma mit einer 10 % Marge kauft eine Firma mit einer 2 % Marge und steht am Ende mit der Kennzahl KPV besser da als vorher?


    Oder wie ist das KPV von
    Jahr 3 = 10 %
    zu
    Jahr 4 = 15 %
    zu verstehen?


    Oder bedeuet je höher das KPV desto schlechter die Kennzahl?
    Bin da etwas verwirrt.

  • Mal 6 mögliche Margen-Entwicklungen, die nach Winters Durschnittsmethode alle zur 10-Jahresmarge von 5% führen würden:



    Bei blau wäre eine 10-Jahresmarge zwecklos, da eh immer 5%


    Bei grün und rot würden Unternehmen für hohe Margen in den Jahren 1-5 belohnt.


    Bei cyan und braun würden Unternehmen für niedrige Margen in den Jahren 1-5 bestraft.


    Bei pink würde man auf ein Zurückkommen spekulieren. Wobei 5% deutlich über den 0% aktueller Marge liegen würde... Und die durschnittsmarge in keinem Jahr erzielt wird...


    Alles im allen halt ich die Durchschnittsmarge für fragwürdig. Genauso wie das KGV 10. Beides benachteiligen/bevorteilen Unternehmen. Dazu eben sehr zeitabhängig. Bei braun würde man (unter Annahme, dass die 10% weiterlaufen) jedes spätere Jahr dem Unternehmen eine höhere Durschnittsmarge zugestehen...

  • Danke für die Rückmeldung, witchdream.


    - Daß das KGV mechanisch nicht besser als die anderen Kennzahlen war, ist eigentlich auch kein Wunder: Der Gewinn ist manchmal beeinflußt von Sondereffekten wie Gewinn aus Beteiligungsverkäufen über Buchwert, Bildung von Rückstellungen, Goodwillabschreibungen etc., die alle dazu führen, daß ein falscher nachhaltiger Wert indiziert wird. Weiterhin kauft man mit niedrigem KGV oft Zykliker im Boom.
    Hingegen bei KUV und KBV und auch KCV (als Bruttocashflow verstanden wie mutmaßlich bei O'Shaughnessy) ist die fundamentale Größe wesentlich stabiler als beim KGV.
    Das Zykliker-Problem sollte mit dem KPV befriedigend gelöst sein, bei den Einmaleffekten könnte sich vielleicht rein mechanisch gesehen durch die Glättung das Ergebnis verbessern, weil z.B. eine Goodwillabschreibung in einem einzelnen Jahr einerseits im 10-Jahres-Mittel nicht mehr so ins Gewicht fällt, andererseits viele andere Firmen in diesem Zeitraum ebenso davon betroffen waren, so daß sich dies im Vergleich relativiert. Wenn man sich aber dem nachhaltigen Gewinn ernsthaft und möglichst präzise nähern will, ist das nicht befriedigend, dann wird es eher noch ärgerlicher, weil die Wahrscheinlichkeit steigt, daß über zehn Jahre hinweg irgendwann einmal Sondereffekte aufgetreten sind. Das ist aufwendiger zu prüfen als nur für ein Jahr, und oft würde man auch die entsprechend alten Geschäftsberichte gar nicht mehr auf den Webseiten finden. (Nebenbei ist noch die Frage, ob die Einmaleffekte denn wirklich so einmalig sind oder nicht eigentlich zum Geschäft gehören. Es gibt Firmen, die alle paar Jahre Restrukturierungsaufwendungen verbuchen. Im Technologiesektor könnten Goodwillabschreibungen auf eine generell verfehlte Übernahmepolitik hindeuten, so daß in der Zukunft wieder damit zu rechnen ist.)
    Letztlich kann man es auch ganz pragmatisch sehen: Treten öfters negative oder positive Einmaleffekte auf? Ich meine, der allergrößte Teil ist negativer Art. Es werden wesentlich mehr Rückstellungen gebildet, die später auch tatsächlich benötigt werden, als solche, die wieder aufgelöst werden können. Am häufigsten dürften Goodwillabschreibungen und Restrukturierungsaufwendungen sein, zu denen es gar kein Pendant gibt. Zu- oder Abschreibungen auf Finanzanlagen dürften sich die Waage halten und sind vermutlich ohnehin nicht so häufig. Größere Beteiligungsverkäufe machen sich zumindest im Umsatz bemerkbar. Somit wird man eher mal eine eigentlich gute Aktie nicht entdecken, als umgekehrt. Das ist aber verschmerzbar: Wichtig ist vor allem, daß das, was man findet, hinreichend gut ist, und ohne KPV wäre man schlechter dran.


    Erstaunlicherweise schnitt der freie Cashflow bei Tortoriello besser ab; darauf wenden wir es analog auch an. Obwohl es beim FCF eigentlich auch zyklische Schwankungen gibt (eher noch mehr), und dazu auch noch Verzerrungen durch große Investitionen in einem Jahr möglich sind, die es beim Gewinn so nicht gibt. Dafür fällt die Verzerrung durch Sonderabschreibungen weg.


    - Es stimmt, es können auch Firmen mit (dauerhaft, aber vielleicht nicht nachhaltig) hohen Margen selektiert werden. Es ist allerdings ein Denkfehler, daß hochmargige Firmen bevorzugt werden. Sie werden lediglich nicht benachteiligt. Rechnerisch wird die schwache Marge durch das niedrigere KUV wieder ausgeglichen. Das KPV ist an sich neutral bezüglich der Umsatzmarge.
    Das kann man als Vorteil sehen - es bleiben auch Branchen mit generell höheren Umsatzmargen im Filter hängen; oder aber Firmen mit einer Sonderstellung, die im Branchenvergleich die höhere Marge erklärt, - oder als Nachteil, siehe oben: Im Zweifelsfall würde auch ich bei Auswahl zwischen zwei Firmen aus der gleichen Branche (und sonst gleichen Bedingungen, wie ähnliche Verschuldung) mit ungefähr gleichem KPV die Aktie mit dem niedrigeren KUV wählen. Damit macht man zumindest nichts falsch, und vielleicht platzt der Knoten doch irgendwann (von MMI genanntes Paradebeispiel: KSB - vor 2006, nicht danach!).
    Praktisch kann man es so machen, daß man zusätzlich nach KUV filtert, oder das KUV (=die Marge) im Branchenvergleich betrachtet. Insofern war es natürlich etwas Marketing, daß das KUV komplett überflüssig gemacht würde.


    - Es ist auch nicht so, daß speziell Wachstumsfirmen selektiert werden. Wachstum wird lediglich nicht bestraft. Prinzipiell teile ich Deine Haltung aber, witchdream. Gegenüber Boombranchen mit stark wachsenden Umsätzen ist Skepsis angebracht, wie Matze auch schon schrieb; wenn der Markt einmal nicht mehr wächst, setzt oft der Katzenjammer ein, denn wachsende Märkte ziehen Wettbewerber an wie Honig die Fliegen. Das bestätigte O'S glaube ich sogar über das 5-Jahres-Umsatzwachstum. Die typische Aktie, die damit gefunden wird, ist denn auch nicht SMA Solar, sondern eher Groupe Guillin, die ein KGV14 = 7,90, aber ein KPV14 = 4,50 hat (Kurs 45,20 ¤).


    Guerillainvest :
    - Ja, müßte Jahr4 = 12 heißen;
    - Ja, rechnerisch würde die Firma danach besser dastehen. Joe hatte es in der Form PKV angegeben (15% entspricht ~6,7 in KPV-Darstellung)
    - MMIs Einwand war natürlich berechtigt, in dem Beispiel kommt ein irreführender Wert heraus.

    „Wir haben die gesamte Führung fast aller Berliner Sicherheitsbehörden ausgetauscht und dort ziemlich gute Leute reingebracht." – Benedikt Lux, Grüne Berlin

    Einmal editiert, zuletzt von Winter ()