27.04.2014 · Telefonverkaufer drehen Anlegern dubiose Aktien an. Die Spur fuhrt von Nevada durch Sudamerika in die Schweiz und von dort in den Balkan.
Von MARTIN HOCK
Die Anrufe kommen aus Taipeh, Marokko und der Turkei.
© DPA
Es war das Jahr 2000 - der Anfang vom Ende des Neuen Marktes hatte gerade begonnen. Auch an der amerikanischen Technologieborse Nasdaq fielen die Aktienkurse. Am Endes des Jahres sollte es ein Minus von 50 Prozent sein. Das war auch ein Thema fur die Filmindustrie. Ein noch unbekannter Vin Diesel ubernahm die zweite Hauptrolle in Boiler Room, auf Deutsch: Risiko - Der schnellste Weg zum Reichtum. Hauptdarsteller Giovanni Ribisi verkauft in dem Streifen Aktien dubioser Unternehmen via Telefon an unwissende Privatleute, die damit abgezockt werden.
Alles nur Kino? Nein. Es ist einige Wochen her, dass sich ein Dr. Andreas Burg von der Firma Goldberg bei mir meldete. Er habe eine wunderbare Aktie fur mich. Jetzt konne er mir noch nicht sagen, um welche es sich handle. Aber bald werde er mich anrufen und mir die Wertpapierkennnummer mitteilen. Aber er werde mich nicht enttauschen: Sie, Herr Doktor, konnen sich auf mich verlassen.
Wenige Wochen spater folgt ein weitere Anruf. Wieder kommen dieselben Formeln: Sie, Herr Doktor, konnen sich auf mich verlassen. Und: Ich werde Sie nicht enttauschen. Gleichzeitig versucht Herr Burg, dem ich seinen Namen mittlerweile aufgrund des Akzents nicht so recht abnehmen mag, mir Informationen zu entlocken: Mache ich meine Bankgeschafte selbst? Habe ich ein Online-Depot?
Mache ich meine Bankgeschafte selbst?
Gut zwei Wochen spater erfahre ich die Wertpapierkennnummer. Es handelt sich um die Gilax Corp. Mehr verrat mir Herr Burg nicht, der sich auch mal als Dr. Burg vorstellt. Nur das Wichtigste: Jetzt sei ein guter Zeitpunkt einzusteigen. In zwei, drei Monaten werde der Kurs gut steigen. Er sei seit 20 Jahren an der Borse, und er profitiere erst, wenn die Kunden gut rausgekommen sind. Er erhalte dann 4 Prozent Provision.
Was ist eigentlich Gilax? Der beredte Dr. Burg wird schweigsam. Den Namen musste ich selbst nachschlagen. Gilax ist im amerikanischen Freiverkehr, am sogenannten üBulletin Board notiert, einem wenig regulierten Borsensegment, wo sich viele Start- ups und noch mehr Briefkastenfirmen finden. Die fur Januar versprochene Zulassung zum Handel in Berlin steht noch aus. 2011 ist Gilax als Handler von Eisenbahnschwellen gegrundet worden. Im Oktober hat die Seidenschnur Verwaltungs AG in der Schweiz 77 Prozent der Anteile zum Preis von 150 000 Dollar gekauft. Damals war das Unternehmen also keine 200 000 Dollar wert. Heute wird es mit 10 Millionen Dollar bewertet. Was ist seitdem geschehen?
Nun, kurz nach dem Verkauf stellten die neuen Herren die Gilax Corp. als Bergbaugesellschaft neu auf. Doch zwischen Grundung und Ende Januar dieses Jahres gab es keinen Umsatz und 120 087 Dollar Verlust. Da kann nicht viel geschehen sein. Zum 31. Januar betrugen die Barmittel 276 Dollar, was auch die gesamten bilanzierten Vermogenswerte waren. So ist es ubrigens seit Oktober 2013.
Den Internet-Seiten entnehme ich, dass Gilax Ende Januar mit einem der bedeutendsten Bergbauunternehmen in Mexiko eine unverbindliche Absichtserklarung fur die Ausbeutung einer Mine unterzeichnet hat und Anfang Februar eine weitere Absichtserklarung fur eine Mine in Bolivien. Die Absichtserklarung fur Mexiko ist laut Quartalsbericht am 31. Marz ausgelaufen. Fur Bolivien lauft sie Anfang Mai aus. Alles Ubrige, was auf den Internetseiten angekundigt wird, sind Plane und Versprechungen.
Erst ein Anruf aus Taipeh, dann aus der Turkei
Wie viel ich denn nun investieren werde, will Dr. Burg wissen. Eine vierstellige Summe, sage ich. Er macht 8000 Euro draus - das sei eine recht kleine Summe. Eine gute Summe werde sich lohnen. Er habe genaue Informationen: Ich weiß genau, wo der richtige Zeitpunkt ist. Und dann kommen sie wieder, die Floskeln: Ich werde Sie nicht enttauschen, und Ich schwore, was mir heilig ist. Und abermals die gleichen Fragen: Habe ich ein Online-Depot? Mache ich meine Wertpapiergeschafte selbst?
Meine Zuruckhaltung lasst Dr. Burg offenbar nicht ruhen. Ruhelos scheint er ohnehin zu sein. Nachdem mich der vorangegangene Anruf laut meinem Handy aus Taipeh erreichte, verpasse ich am nachsten Tag einen Anruf aus der Turkei. Letztlich kann auch das nur der Herr Doktor gewesen sein, der zuvor meine Frau telefonisch zu Hause behelligt hat.
Wer ist eigentlich der Großaktionar Seidenschnur, frage ich mich. Es handelt sich laut Schweizerischem Handelsamtsblatt um eine Unternehmensberatung, die in der 20 000 Seelen großen Kleinstadt Baar beheimatet ist. Dort ist sie uber die Launchoffice GmbH erreichbar, einem Callcenter, das Anrufe im Namen von Firmenkunden entgegennimmt.
Gegrundet hat Seidenschnur der deutsche Staatsburger Giovanni Lupino. Dieser war laut dem Schweizerischen Handelsamtsblatt fruher unter anderem gemeinsam mit Zoran Samardzija Geschaftsfuhrer der Legion Finance. Samardzija wiederum war Verwaltungsratsprasident der Dunmorr Group, die europaweit von Callcentern in Bosnien aus Anleger durch unerbetene Telefonanrufe dazu verleitet haben soll, Aktien von zweifelhaftem Wert zu erwerben. Im Jahr 2012 hat die Polizei von Bosnien- Hercegovina laut einem Bericht der Schweizer Handelszeitung das dahinterstehende mutmaßliche Betrugernetzwerk ausgehoben. Zoran Samardzija und sein Bruder Goran wurden gesucht.
Goran Samardzija war ubrigens auch fur die Stonehard Consulting tatig, die auf der Negativliste der Schweizer Finanzaufsicht steht, weil sie moglicherweise eine aufsichtspflichtige Tatigkeit ausubt, ohne im Besitz der notwendigen Bewilligung zu sein. Die Stonehard Consulting wurde laut Handelszeitung von demselben Branislav Jankovic liquidiert, der die Stonehard AG in Belgrad vertrat. Die wiederum war eine Tochtergesellschaft der Stonehard Investment. In deren Verwaltungsrat saß als Mitglied Giovanni Lupino. So schließt sich der Kreis. Fur alle Beteiligten gilt jedoch die Unschuldsvermutung.
Was ich uber das System von Dunmorr lese, klingt vertraut: Die Mitarbeiter durften nur Deutsch miteinander reden, um die Opfer glauben zu machen, man habe es mit deutschen Handlern zu tun. Dabei wurden diesen auch falsche Telefonnummern vorgegaukelt, um die Illusion zu erzeugen, man rufe aus den Finanzzentren der Welt an. Mit den Finanzzentren ist es bei Dr. Burg nicht so weit her. Taipeh mag ja noch
http://www.faz.net/aktuell/fin…aeuschen-12910584-p2.html 2/4
ü27.4.2014 Dubiose Telefonverkaufer: Ich werde sie nicht enttauschen - Aktien - FAZ
ügehen, aber die Turkei? Und der bisher letzte Anruf kam angeblich aus Rumanien.
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Jedenfalls passt das Ganze: die unverlangten taglichen Anrufe, die Geheimniskramerei, die dubiose Aktie und nicht zuletzt der deutsche Name, der nicht zum Sprachstil und zum Idiom passen wollte - und naturlich die Frage, ob ich meine Bankgeschafte selbst und online erledige. Sie hatte auch lauten konnen: Haben Sie einen Wertpapierberater, der Ihnen Dummheiten ausredet?
Ich befurchte nur, dass Dr. Burg anderswo erfolgreich war. Im amerikanischen Aktienhandel am Bulletin Board wurde die Aktie seit dem 10. April nicht mehr gehandelt, seit Jahresbeginn gerade mal an elf Tagen. Fast der komplette Jahresumsatz konzentriert sich auf einen einzigen Tag: den 10. April, das ist gerade mal sieben Tage her. Hat mein Telefonfreund etwa einen anderen Dummen gefunden? Darum kann ich mich leider nicht mehr kummern. Mein Handy klingelt. Es ist ein Anruf aus Marokko. Quelle: F.A.Z.
http://www.faz.net/aktuell/fin…aeuschen-12910584-p2.html 3/4
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