Ist ein historischer Bewertungsabschlag relevant?

  • Wenn ich die Beiträge zu euren regelbasierten Strategien durchlese, sehe ich viele Nutzer die Screener benutzen und nach Aktien suchen, die in einem Markt wie Deutschland günstig sind. In Deutschland gibt es aber viele verschiedene Branchen die auch unterschiedliche historische Bewertungen aufweisen. So könnte ein Versorger immer attraktiv erscheinen, obwohl er im Vergleich zu den letzten Jahren eher hoch bewertet ist.


    Für wie relevant haltet ihr das durchschnittliche Bewertungslevel der letzten Jahre und einen Auf- oder Abschlag davon für eure kaufentscheidungen?

  • David Dreman (Contrarian Investment Strategies) hat eine Untersuchung zitiert, die deine Frage klärt: Ist es besser, in einem Markt die absolut billigsten Aktirn (ungeachtet der Branche, mit einem Branchen-Klumpenrisiko) zu kaufen oder aus jeder Branche die jeweils billigsten Aktien zu wählen (d.h. eine Streuung über möglichst viele Branchen)?


    Beide Strategien schlagen klar den Gesamtmarkt - d.h. der Kauf von billigen Aktien lohnt sich auf jeden Fall. Im direkten Vergleich schneidet aber doch die Strategie am besten ab, die sturgerade die billigsten Aktien im Markt kauft, also keine Diversifizierung nach Branchen anstrebt. Es kann also vernünftig ein, sich in einem Jahr das Depot mit Versorgern vollzupacken, und ein paar Jahre später wandern vorzugsweise KFZ-Zulieferer ins Depot.


    Eine andere Frage ist es, ob es Sinn macht, das Bewertungsniveau des Gesamtmarktes zu berücksichtigen. Da landest du dann bei der Frage "market timing - ja oder nein?", die im market-timing-thread diskutiert wird.

  • Das beantwortet das Branchenthema. Aber es gibt noch einen anderern Aspekt. Wenn eine Aktie mit einem KBV von 0.9 zum attraktivsten Dezil gehört, sie in den letzten 10 Jahren aber mit einem mittleren KBV von 1.5 bewertet wurde (historisch damit teuer), ist diese Aktie dann ein Schnäppchen?


    Sollte man die mittlere historische Bewertung also mit berücksichtigen? Z.B. das erste Dezil, allerdings nur Aktien die auch im Vergleich zur Verganghenheit eine Unterbwertung von .... Prozent aufweist? Gibt es Studien dazu?


  • Sollte man die mittlere historische Bewertung also mit berücksichtigen? Z.B. das erste Dezil, allerdings nur Aktien die auch im Vergleich zur Verganghenheit eine Unterbwertung von .... Prozent aufweist?


    Nee, sollte man laut Dreman nicht. Du solltest einfach nur die momentan billigsten Aktien aus deinem Aktienuniversum kaufen - egal, wie teuer/billig die vorher waren.


    Variante a) Wenn die Branchen zu diesen Aktien historisch teurer waren: Kein Problem, dann erhältst du in doppelter Hinsicht ein Schnäppchen. Die billigsten Aktien des Marktes mit einem Rabatt zur historischen Branchenbewertung. (M.E. der Normalzustand beim mechanischen Investieren.)


    Variante b) Wenn die Branchen zu diesen Aktien historisch billiger waren: Dann beißt der Mechaniker ohne market-timing die Zähne zusammen und kauft trotzdem. Der Mechaniker mit market-timing kommt eventuell ins Grübeln, wenn selbst die aktuell billigsten Branchen teuerer sind als im historischen Mittel --> Frage: wäre market-timing angebracht? Hierzu gibt es (meines Wissens) leider keine belastbaren Studien, weil die Dominanz der "Efficient Market Hypothesis" schon die Fragestellung als Absurdität erscheinen läßt. (Tenor: "market-timing ist per definitionem nicht möglich")


    Naheliegende Lösung: Eine Ausweitung des Aktienuniversums auf möglichst viele Länder. Wenn Aktien in DE gerade teuer sind, sind sie vielleicht in GR oder in der Ukraine gerade billig.
    Problem hierbei:
    1. Internationale Korrelation ("wenn der S&P500 crasht, dann crasht es überall")
    2. Ausweichen in "exotische" Märkte = höheres Risiko? (siehe die momentane Diskussion zu spud`s Depot).


    Langer Rede kurzer Sinn: Ich kenne zu deiner Frage keine perfekte Lösung, wenn Variante b) eintritt. Ich bin mir aber sicher, dass mechanisches Investieren insgesamt funzt.

  • Wie gesagt, um den Branchenaspekt geht es nicht mehr. Hier verstehe ich Deinen Einwand. Auch Market Timing bin ich bei dir.


    Meine Frage ist, wenn Du in einem FIKTIVEN Beispiel EON und RWE als günstigste deutsche Aktien filterst. Beide Aktien sind gleich bewertet mit einem KBV von 0.9, auch alle anderen Kennzahlen wären gleich. Einziger Unterschied ist, dass EON in den letzten 10 Jahren im Mittel mit einem KBV von 1.5 bewertet wurde, RWE mit 0.4. Gibt es Studien die untersucht haben ob es sinnvoller ist in EON zu investieren? Immerhin wären hier beide Aktien zwar günstig, allerdings wäre RWE im Vergleich zu den letzten Jahren teuer, EON dagegen auch unter diesem Aspekt günstig?


    Alle Bücher die ich zu dem Thema kenne untersuchen nur klassiche Kennzahlen aber nicht die relative Bewertung einer Aktie im Vergleich zur Vergangenheit.


    (In dem Gedankenspiel müssen die Aktien nicht einmal aus der selben Branche stammen.)


  • Gibt es Studien die untersucht haben ob es sinnvoller ist in EON zu investieren? Immerhin wären hier beide Aktien zwar günstig, allerdings wäre RWE im Vergleich zu den letzten Jahren teuer, EON dagegen auch unter diesem Aspekt günstig?


    Alle Bücher die ich zu dem Thema kenne untersuchen nur klassiche Kennzahlen aber nicht die relative Bewertung einer Aktie im Vergleich zur Vergangenheit.


    (In dem Gedankenspiel müssen die Aktien nicht einmal aus der selben Branche stammen.)


    Keine Ahnung - ich für meinen Teil kenne keine Studie zu dem Thema. In meiner Praxis sind mir noch nie zwei absolut identische Kaufkandidaten untergekommen, die ich anhand eines solchen sekundären Kaufkriteriums hätte auseinanderdividieren müssen. Im praktischen Kontext wäre das wohl eher ein hypothetischer Sonderfall.


    Die Frage wäre also, ob deine Idee von der relativen historischen Abweichung als primäres Kriterium für Rendite taugen würde.


    Kenne keine Studie dazu --> keine Ahnung. Aus dem (empirisch geschulten) Bauch heraus, würde ich vermuten: Je billiger als in der Vergangenheit, umso besser.
    Allerdings: Das ist mein völlig unbegründetes Bauchgefühl, für dein theoretisches Konstrukt.

  • Im praktischen Kontext wäre das wohl eher ein hypothetischer Sonderfall.


    ich habe das gleiche Bauchgefühl und leider ist die Praxis alles andere als hypothetisch. Ich bin vor einiger Zeit ein mechanisches Screening durchgegangen und habe mehrere Aktien gefunden, die zwar unter den aktuell günstigsten waren im eigenen historischen Kontext durchaus als teuer gelten könnten.

  • ich habe das gleiche Bauchgefühl und leider ist die Praxis alles andere als hypothetisch. Ich bin vor einiger Zeit ein mechanisches Screening durchgegangen und habe mehrere Aktien gefunden, die zwar unter den aktuell günstigsten waren im eigenen historischen Kontext durchaus als teuer gelten könnten.


    Das ist interessant. Wenn selbst die aktuell billigsten Aktien deutlich teuerer sind als sie es in den letzten Jahren waren, dann würde ich das als deutliches Zeichen für eine Überbewertung des Gesamtmarktes sehen. Darf ich fragen, für welche Märkte und market-caps du dein screening durchgeführt hast?

  • ist eine Weile her und fällt mir nicht nur bei meiner Auswahl auf. Ein User hier hat neulich seine Werte vorgestellt. Das KBV fließt auch ein. Wenn man die ersten 15 Aktien nimmt, sind diese im relativen Vergleich zum Markt sicher attraktiv. Aber schauen wir mal auf die Bewertung im Vergleich zu den letzten 10 Jahren.



    Fast alle Aktien sind aktuell vom KBV teurer als in den letzten 10 Jahren, nur REDERI ist im historischen Vergleich ein Schnäppchen. Was bedeutet das jetzt? Wenn man unterstellt, dass Aktien zu einem mittleren Bewertungslevel zurückkommen, sind diese Aktien aktuell nicht günstig. Oder der Gesamtmarkt ist so viel teurer als in den letzten 10 Jahren dass sich einzelne Unterbewertungen so nicht mehr zeigen?



    Aktie

    KBV (aktuell)

    Mittel 10 Jahre

    Unterbewertung

    PAM TRANSPORTATION SVS.

    2,8

    0,8

    259%

    CRA

    1,3

    1,2

    11%

    JETBLUE

    1,6

    1,2

    38%

    SIOEN

    1,5

    1,1

    36%

    WESSANEN

    3,8

    1,6

    137%

    GREEN

    1,7

    0,7

    132%

    ENERGIEKONTOR

    3,7

    1,7

    113%

    MQ HOLDING

    1,3

    0,8

    57%

    BIESSE

    2,0

    1,2

    76%

    WACKER NEUSON

    1,3

    0,8

    63%

    FROSTA

    1,6

    1,3

    25%

    ETAM DEV

    0,9

    0,8

    16%

    REDERI AB

    0,5

    0,7

    -24%

    LEIFHEIT

    2,2

    0,9

    138%


    Was meint Ihr? Und gibt es eine Möglichkeit Tabellen mit Copy und Paste einzufügen? Das abtippen ist nicht praktisch.

  • Hey Aktiencheck,


    du hast aus meinem Depotthread zitiert und deshalb moechte ich gerne etwas dazu sagen. Die Werte aus dem Depot sind nicht mit einem einfachen KBV screener gefiltert sondern sie beinhalten 5 weitere Value Kennzahlen und andere nicht value Faktoren (siehe Depotthread). In so fern machst du es dir imho ein bisschen zu leicht einfach das KBV zu vergleichen.


    Nichts desto trotz wuerde ich deiner Aussage zustimmen, dass die Maerkte im historischen Vergleich sicher nicht mehr unterbewertet sind. Die Frage ist doch aber was wir aus dieser Information machen (und da gehen die Meinungen hier im Forum auseinander) und wie wir damit umgehen.


    Ich denke im Moment befinden wir uns in der besten aller Boersenwelten: Niedrige Zinsen, niedrige Inflation, soldides Wachstum in den USA, sinkender Oelpreis, staerker Dollar. Fuer mich sieht es so aus, dass die Bewertungen noch weiter steigen koennen. Im Grunde befinden wir uns in mitten in einem Experiment: Wie hoch kann die Aktienbewertung steigen wenn die sicheren Zinsen real tatsaechlich negativ sind.


    Die Muenchner Rueck hat aktuell ein KGV von 8 und eine Dividenden Rendite von 4.4%. Die kann sich noch locker verdoppeln bevor diese Hause vorbei ist.

    They did not know it was impossible, so they did it! --Mark Twain

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    Ich denke im Moment befinden wir uns in der besten aller Boersenwelten: Niedrige Zinsen, niedrige Inflation, soldides Wachstum in den USA, sinkender Oelpreis, staerker Dollar. Fuer mich sieht es so aus, dass die Bewertungen noch weiter steigen koennen. Im Grunde befinden wir uns in mitten in einem Experiment: Wie hoch kann die Aktienbewertung steigen wenn die sicheren Zinsen real tatsaechlich negativ sind.


    Die Muenchner Rueck hat aktuell ein KGV von 8 und eine Dividenden Rendite von 4.4%. Die kann sich noch locker verdoppeln bevor diese Hause vorbei ist.


    Ist jetzt off topic, wäre im Lage-Thread besser aufgehoben.


    Ich denke auch, dass die Aktien weiter steigen sollten.
    Die Masse (Volk) hat immernoch wenig Anteile in Aktienanlagen. Zudme spüren Sie von überall Druck etwas tun zu müssen. In meinem Umfeld wagen sich sehr konservative Menschen an Immo mit Denkmalschutz ran. Das ganze Geld was fliesst wird langsam zur Last, denn das Haus ist schon abezahlt, Autos stehen vor der Tür ... .
    Jetzt laufen auch noch alte LV aus, das Erbe kommt ...


    Neben vielen anderen Signalen, beobachte ich den Immo-Markt in München. Sobald der zu schwächeln beginnt, könnte ich den Ausgang suchen. Seit Jahren hört man die Immos in München sind überteuert, aber die Preise steigen weiter. ich konnt emir auch nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die für eine mittelmäßige 2-Zi-Wohnung in München bereit sind mehr als 200 K€ zu bezahlen.
    Daher denke ich könnte wir in einen Bereich stossen, den wir uns im Moment nicht vorstellen können, sobald die Masse anfängt zu spinnen.
    Ausserdem fehlt mir, dass der Nachbar vor Neid platzt, weil der andere Nachbar sich durch seinen Aktiengewinn ein neues Auto oder einen Reise gegönnt hat.

  • pro-Aktien: Negativzinsen treiben Sparer in andere Anlagen. Dieser Trend könnte sich noch richtig entfalten.


    contra-Aktien:
    - Sinkende Ölpreise könnten die Fracking-Industrie in den USA zerlegen. Diese soll zu 1/3 für den Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre in den USA verantwortlich gewesen sein
    - Nach meiner Schätzung wird derzeit ein (für mich kritischer) Shiller-KGV=27 bei S&P = 1.070 erreicht. Der S&P hat dieses Level erreicht.
    - Aktieneinbrüche in den USA haben bisher immer Kettenreaktionen in Europa nach sich gezogen.


    Ich denke, das Eis wird zunehmend dünner. Dank der Minuszinsen kann es noch eine Weile aufwärts gehen, aber es gibt auch jetzt schon immer weniger günstige Aktien.

  • ist eine Weile her und fällt mir nicht nur bei meiner Auswahl auf. Ein User hier hat neulich seine Werte vorgestellt. Das KBV fließt auch ein. Wenn man die ersten 15 Aktien nimmt, sind diese im relativen Vergleich zum Markt sicher attraktiv. Aber schauen wir mal auf die Bewertung im Vergleich zu den letzten 10 Jahren.


    Ein Problem dieser Betrachtungsweise ist m.E. dass ein 10 Jahreszeitraum ziemlich willkürlich ist. Schon wenn man sich die erste Aktie anschaut, PAM Transportation, sieht man dass die 4 jahre lang (2008-2011) dicke Verluste gemacht haben und jetzt anscheinend den Turnaround geschafft haben. Geht man weiter zurück, sieht man das früher das KBV auch höher war als Gewinne gemacht wurden. D.h. im aktuellen 10 Jahreszeitraum sind 4 Verlustjahre mit sehr niedrigen Bewertungen.


    Von daher in diesem Falle auf Basis eines 10 Jahres KGVs geleich von einer Überbewertung zu sprechen, halte ich für ausgeprochen oberflächlich.


    Ähnliche Probleme hat man auch mit dem klassischen KGV 10, da sehen Value Traps immer billig aus und gute Compounder immer teuer.


    Zuletzt ist KBV insgesamt ein ausgesprochen "schwaches" Merkmal im Hinblick auf zukünftige Outperformance. EV/EBITDA ist z.B. deutlich besser.

  • du hast aus meinem Depotthread zitiert und deshalb moechte ich gerne etwas dazu sagen. Die Werte aus dem Depot sind nicht mit einem einfachen KBV screener gefiltert sondern sie beinhalten 5 weitere Value Kennzahlen und andere nicht value Faktoren (siehe Depotthread). In so fern machst du es dir imho ein bisschen zu leicht einfach das KBV zu vergleichen.


    ich hoffe, es war OK deine Werte einfach exemplarisch zu nutzen. Dass du mehrere Kriterien verwendest ist mir klar, sollte nur ein Beispiel sein um die Frage in der Praxis zu zeigen. Wenn es einen besonders stark gewichteten Indikator gibt, kann ich den auch einmal darstellen.


    Von daher in diesem Falle auf Basis eines 10 Jahres KGVs geleich von einer Überbewertung zu sprechen, halte ich für ausgeprochen oberflächlich.
    Zuletzt ist KBV insgesamt ein ausgesprochen "schwaches" Merkmal im Hinblick auf zukünftige Outperformance. EV/EBITDA ist z.B. deutlich besser.


    Ich schaue gern auch nach dem EV/EBITDA, welcher Zeitraum (x) ist für so eine Betrachtung deiner Ansicht nach sinnvoll? Und was bedeutet es deiner Meinung nach für ein Investment wenn es aktuell mit einem EV/EBITDA von 8 bewertet wird und in den letzten x Jahren bei sagen wir 11 bewertet wurde? Ist das Unternehmen dann teuer auch wenn es im vergleich zum Gesamtmarkt, sagen wir der hat 10, günstig ist?