Hallo zusammen,
in dem Buch "What works on Wall Street", dass eine Reihe von Euch sicherlich gut kennen, beschäftigt sich James O'Shaughnessy(O'S) mit der Tauglichkeit diverser Anlagestrategien insbesondere in der langen Frist,d.h. bei Anwendung einer solchen Strategie über den Zeitraum von mindestens 25 Jahren.
Die Beschreibung des Aufbaus der Untersuchung zeigt, dass O'S eine Reihe von methodische Probleme erkannt und in der Untersuchung berücksichtigt, so z.B. das Problem nicht-überlebender Unternehmen, die die Performance einer bestimmten Strategie nachhaltig verändern könnten und somit auch die mit ihr verbundenen Implikationen.
Aus meiner Sicht ist derzeit eine Frage von besonderer Bedeutung: Wie haben sich die getesteten Strategien in Baissesituationen gehalten und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? In dem untersuchten Zeitraum 1952-1996 ist genau eine längere Phase zu identifizieren, die eine ausgesprochene Baissephase genannt werden kann: es sind dies die Jahre 1973/1974(Ölkrise, Rezession, Ende von Bretton Woods, Vietnamkrieg, Inflation, hohe Zinsen), in denen der S&P-500 satte zweistellige Rückgänge zu verbuchen hatte. Welche Strategien haben im Anschluss an diese Phase, das heisst in den Jahren 1975/76 besonders gut funktioniert? Und da gibt es einige hochinteressante Ergebnisse:
1. Sehr gut funktioniert haben alle Value-basierten Strategien, ganz gleich, ob die Aktien mit dem niedrigsten KGV/KCV/KBV/KUV herangezogen wurden. Man kann sogar sagen, dass die überlegene Gesamtperformance über den Zeitraum auf die besonders starke Outperformance in der Erholungsphase zurückzuführen ist;
Aktien mit tiefem KGV weisen im Jahr 1975 die beste relative Performance des gesamten Zeitraums auf, und zwar für den Gesamtmarkt ausgenommen small caps(all stocks) sowie die grossen Aktien(large stocks), in Umkehrung dazu haben Aktien mit hohem KGV in dieser Periode eine besonders schlechte relative Performance. Gleiches gilt für Aktien mit tiefem bzw. hohen KBV, KCV und KUV;
2. Überlegen waren Small cap-Strategien und besonders das micro-cap- Segment mit Unternehmen unterhalb der 25 Mio. USD-Grenze schnitt weit überdurchschnittlich ab, und zwar gemessen an der durchschnittlichen Performance 1952-1996 als auch gegenüber den grösser kapitalisierten Firmen. Doch Vorsicht: Dieses Segment repräsentierte ca. 2000 verschiedene Firmen. Es darf eine gehörige Varianz innerhalb dieses Segments unterstellt werden, so dass eine Nachbildung dieser Strategie für den Kleinaleger nur unter Inkaufnahme eines beachtlichen Risikos möglich ist. Und, nicht weniger wichtig, das Risiko im Zeitablauf liegt erheblich höher. Es wurde zwar schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Standardabweichung vor allem durch höher liegende Jahresperformances erreicht wurde. Dies bedeutet aber, dass der Mehrertrag vor allem dann erzielt wird, wenn zufälligerweise ein paar besonders gute Jahre dabei sind. Der risikoadjustierte Ertrag(Sharpe Ratio) ist zwar immer noch höher , aber nicht mehr ganz so hoch.
3. Eine sehr starke Outperformance erzielen die "Market Leader", also die Titel, die einen weit überdurchschnittlichen Umsatz und Cash-Flow aufweisen. Mit 22,9 % erreicht die relative Outperformance im Jahr 1975 einen absoluten Spitzenwert.
4. Nicht ganz so überzeugend ist das Ergebnis bei Verfolgung der Maxime "Hohe Dividendenrendite". Dies funktioniert zwar durchaus bei den grossen Titeln, aber nicht beim Gesamtmarkt. Auch gibt es auch noch andere Jahre bei den Large Stocks, wo sich eine ähnlich gute relative Outperformance zeigt.
5. Schlechter als der Gesamtmarkt schneidet 1975/76 die Strategie "Gewinnwachstum über 1 Jahr" ab, sowohl beim Markttotal als auch bei den grossen Titeln. Nun aber kommt die grosse Überraschung: Die Titel mit dem schwächsten Gewinnwachstum erzielen gegenüber dem Gesamtmarkt in 1975/76 eine relative Outperformance. Bei den grossen Titeln ist die relative Outperformance im Jahr 1975 mit 14,3 % sogar am zweitgrössten überhaupt(Die grösste Outperformance liegt im Jahr 1973). Als nachteilig erweist sich ebenfalls die Strategie "möglichst hohes Gewinnwachstum über 5 Jahre". Bei den grossen Aktien ist kaum ein Unterschied zum Gesamtmarkt zu sehen, aber beim Universum der "All Stocks" sieht man eine deutliche negative Diskrepanz.
6. Negativ schneidet auch die Strategie "möglichst hohe Gewinnmarge" ab, sowohl bei allen Aktien als auch bei den grossen. Bei allen Aktien ist das Jahr 1975 sogar dasjenige mit der grössten relativen underperformance. Eher negativ ist auch die Strategie "hohe Eigenkapitalrendite" zu bewerten, hier zeigt sich eine leichte Underperformance.
7. Sehr interessant wieder ist das Kriterium "Relative Stärke/RS". Die Aktien mit der grössten RS schneiden in den Jahren 1975/76 deutlich schlechter ab als der Gesamtmarkt. Das gleiche gilt für die Aktien mit der ungünstigsten RS im Gesamtmarkt. Und jetzt kommt's: Bei den grossen Aktien schneiden die Titel mit der ungünstigsten RS im Jahr 1975 am besten ab! Nicht nur das, diese Jahr ist mit weitem Abstand dasjenige mit der grössten relativen Outperformance.
Im Gegensatz zu den Value-Straetgien schneiden die Werte mit der besten RS auf lange Sicht allerdings deutlich besser ab als jene mit einer schwachen RS!
8. Ein sehr interessantes Ergebnis wird ausserdem innerhalb der "Cornerstone Value" Strategie zutage gefördert: Die Marktleader mit den tieftsen KGV's schlagen sowohl das Universum der grossen Aktien als auch ihre Pendants mit hohem KGV. Mehr noch, die relative Outperformance erreicht im Jahr 1975 mit 45,1 % bzw. 58,1 % absolute Spitzenwerte.
Daraus ergeben sich folgende Schlussfolgerungen, sollte es sich bei der gegenwärtig Börsensituation wieder um die Endphase einer Baisse handeln:
- Wähle Titel aus, die unter Value-Gesichtspunkten niedrig bewertet sind. Dabei kommt es nicht unbedingt auf die Höhe der Dividendenrendite an. Wähle keine hoch bewerteten Titel aus;
- Wähle Titel aus, die den Marktleadern zuzurechnen sind;
- Wähle keine Titel aus, die eine besonders hohe Gewinnmarge, Eigenkapitalrendite oder hohes Gewinnwachstum aufweisen;
- Wähle Titel aus, die schlechter als der Gesamtmarkt abgeschnitten haben. Sobald die Erholungsphase vorüber ist, wechsle dieses Kriterium und wähle solche Titel aus, die besser abschneiden als der Gesamtmarkt;
Und damit zeigt sich, dass wir wieder bei der klassisch antizyklischen Strategie á la Gallea/Patalon gelandet sind. Wichtig: O'Shaughnessy betont, dass keine Strategie über den gesamten Zeithorizont durchgängig überlegen ist, insbesondere sind Value-Strategien nicht permanent besser als Growth-Strategien. Genauso verhält es sich mit einer antizyklischen Strategie. In der Anfangsphase einer Baisse ist es nicht unbedingt von Vorteil, ihr zu folgen, aber sie scheint in der Endphase einer Baisse besonder gut zu funktionieren. Und so könnte es durchaus sein, dass man mit ihr in den nächsten 2 Jahren Ergebnisse erzielen kann, die alles in den Schatten stellen. Doch wird sie, sollte sich ein neuer Haussezyklus dauerhaft etablieren, an Reiz verlieren, einfach weil dann die Kaufkandidaten immer weniger werden.
Das sind in der Tat einige überraschende und auch spannende Erkenntnisse, mit denen ich vorher nicht unbedingt gerechnet hatte. Ich bin sicher, in den Zahlen von O'S gibt es noch einiges mehr zu entdecken. Übrigens habe ich keinen Widerspruch zu den Zahlen aus dem Buch von Siegel "Stocks for the long run" entdecken können, sondern die Zahlen aus beiden Büchern schliessenn sich zu einem Gesamtbild.
Grüsse,
deaf ear