Historische Marktbewertungen vs. aktuelle

  • Es soll um die Bewertung von Aktienmärkten in deren langfristigem Durchschnitt gehen, und um die Sammlung von Datenmaterial. Fürs KGV bzw. KGV10 haben wir für den US-Markt die Daten von Shiller, ebenso für die Dividendenrendite. Wobei bei letzterer die Einschränkung zu machen ist, daß Dividendenausschüttungen vermehrt durch Aktienrückkäufe ersetzt wurden, die eigentlich auch miteinbezogen werden müßten.


    Eine zwar nur stichprobenartige, aber relativ weit zurückreichende Übersicht über die KUVs findet man im folgenden Anhang. Das bestätigt meine Erwartung von 700-800 Indexpunkten für den S&P500. Nach dem KGV10 wäre der faire Wert zwar aktuell bei 900, nach dem KUV aber wohl eher bei 600 (wenn man 1,0 als durchschnittlich setzt), denn das aktuelle KUV liegt laut FAZ.net bei 2,26.


    Das KBV müßte durch Tobins q angenähert werden können, wenn auch vielleicht nur sehr grob. Werte für das KCV fehlen noch ganz, und eigentlich auch für den deutschen Markt.

  • Ich teile die Auffassung mancher Wissenschafler, dass ein leichter Aufschlag - zum langfristigen Durchschnitt - auf Grund der Informationstechnologien erlaubt ist. (Über die höhe kann man streiten)


    Der dadurch folgende "frühere" Abschlag (nochmal über die Höhe lässt sich trefflich streiten) - ist meiner Meinung nach auf höhere Informationsasymmetrien - und einen damit verbundenen höheren Risikoaufschlag begründet...

    Value investing is at its core the marriage of a contrarian streak and a calculator - Seth Klarman

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  • Hallo,


    dann versuche ich auch mal zu der Frage beizutragen, wie weit es noch runtergehen kann bzw ob wir schon Kaufkurse haben.


    Ich habe meine alte Datenbank nochmal ausgequetscht und die Quintilgrenzen fuer die wichtigsten Kennzahlen nachberechnet. Da wir im Fruehjahr 2003 ein sehr schoenes Tief hatten, das sich nachtraeglich als glaenzende Kaufgelegenheit herausgestellt hat, nehme ich das mal zum Vergleich her.


    Die Kennzahlen sind wie ueblich, darunter KBV ohne goodwill, KCV mit operativem Cashflow, zusaetzlich KEV=Kurs/EBITDA und Umsatzrendite.


    Kurse: 01.07.2003
    GBs: 31.12.2002 oder frueher
    Firmen: 655



    -----KBV---KUV----KEV-----KCV---KGV---Div--URend
    Q1--0.63--0.13---2.58----2.88--10.2--3.2%---8.1%
    Q2--1.07--0.29---5.51----7.37--24.0----0----3.4%
    Q3--1.98--0.57--14.7---571------neg----0-----neg
    Q4--6.96--1.51----neg-----neg---neg----0-----neg
    Q5--schlechter


    Zum Vergleich gestern:


    Kurse: 21.01.2008
    GBs: 30.06.2007 oder frueher
    Firmen: 795



    -----KBV---KUV----KEV-----KCV---KGV---Div--URend
    Q1--1.10--0.32---4.20----7.00---8.2--3.2%--12.7%
    Q2--1.74--0.63---6.91---14.0---14.8--0.4%---5.9%
    Q3--2.95--1.22--12.5---264-----29.7----0----2.9%
    Q4--6.07--3.00--50.2------neg---neg----0-----neg
    Q5--schlechter


    Nach den vergleichsweise statischen Kennzahlen KBV und KUV muesste es demnach noch 30-50% runtergehen, bevor wir eine Kaufgelegenheit vom selben Kaliber wie im Sommer 2003 haben. Es kann natuerlich frueher drehen, muss aber nicht.


    Sehr schoen zu sehen ist, dass die Bewertung nach KGV heute sogar guenstiger ist als im Sommer 2003. Ebenso ist die Umsatzrendite heute etwa 50% hoeher als 2003. Dies wird vom Kurs-EBITDA Verhaeltnis aber nicht bestaetigt, und erst recht nicht vom operativen KCV.


    Das zeigt meiner Meinung nach, dass die KGVs heute nicht deswegen so niedrig sind, weil der Markt schon das zyklische Hoch einpreist, sondern dass die Gewinne zur Zeit 'frisiert' und nicht mit Cashflow hinterlegt sind. Da ist das KGV wohl so sehr in Mode gekommen, dass alle ihr KGV pflegen, koste es was es wolle.


    Zur Datenquelle muss ich sagen, dass es zwei potentielle Probleme gibt.


    1) Ich weiss nicht, wann die GBs veroeffentlicht wurden, d.h. es kann sein, dass fuer 2003 der Kurs vom 1.7.03 mit den Daten eines in der Zukunft erst veroeffentlichten GBs kombiniert worden ist.


    2) Die Datenbank ist nach 2003 gewachsen, dabei wurden aber nur die ueberlebenden Firmen hinzugefuegt, es gibt also einen survivorship bias.


    Beide Einwaende aendern allerdings nicht viel an der obigen Interpretation. Mich wuerde interessieren, ob witchdream die Zahlen grob bestaetigen kann oder ob es irgendeine nennenswerte Diskrepanz gibt.


    Weitere historische Zahlen finden sich uebrigens im alten Thread.


    Viele Gruesse,


    Balkenchart

  • Hallo Balkenchart,


    meine Vergleichszahlen mit den Kursen von heute, ca. 11:00 Uhr, sehen folgendermassen aus:


    ***** KBV**** KUV**** KEV**** KGV**** Divi****ROIC****
    Q1*** 0,93*** 0,32*** 3,53*** 8,37*** 3,5%*** 15,5%***
    Q2*** 1,40*** 0,61*** 5,82*** 14,03***1,3%*** 8,7%***
    Q3*** 2,03*** 1,19*** 9,44*** 27,89***0,0%*** 3,5%***
    Q4*** 3,23*** 2,87*** 26,81***-46,7***0,0%*** -1,9%***
    Q5*** schlechter



    Datenquelle: wisi, 830 deutsche Aktien
    KCV habe ich nicht, statt dessen KEV=K/EBITDA
    ROIC=Gewinn /(Eigenkapital + langfrist. Schulden)


    Was die Vergleichsdaten von 2003 betrifft: Die früheste erhaltene Version meiner Datenbank datiert auf Sept. 2003, und auch da waren 150 Nebenwerte noch nicht erfasst. Ich habe damals auch nicht dokumentiert, welche Datensätze bei wisi veraltet waren - es waren aus der Erinnerung einige...


    Was die aktuelle Bewertung betrifft: Ich erwarte nicht, jemals wieder so schreiend günstige Bewertungen zu sehen wie im März 2003. Die aktuellen Bewertungen im obersten Quintil finde ich durchgehend attraktiv - ich würde momentan ohne Zögern mein Rest-Cash einsetzen, wenn ich das nicht bereits Ende Dezember getan hätte.

  • Zitat


    Ich erwarte nicht, jemals wieder so schreiend günstige Bewertungen zu sehen wie im März 2003


    o.k. wenn die Börse abschmiert, dann liest man solche Kommentare wie meinen sicherlich auch oft.
    Ich möchte kommentieren, dass zumindest im Jahre 2003 das KGV10 für den S&P 500 immernoch sehr hoch war, und keineswegs unterdurchschnittlich.
    Wie weit das auf den Deutschen Markt übertragbar ist, weiß ich nicht. zumindest für den S&P könnte ich mir vorstellen, dass er nochmal deutlich unter dem 2003er Tief liegt.
    Für Deutschland? Wer weiß? Ausschließen würde ich es nicht.
    Aber ich denke, dass ich nicht so lange warten werde und noch bevor wir 2003er-Bewertungen vorfinden sollten zu 100% investiert sein werde.


    Gruß, Joe

    “It’s the little things that matter. It’s one thing to tell someone they look like the first day of spring. It’s another thing to tell them they look like the last day of a long, hard winter.” - Zig Ziglar

  • Hier mal Daten für Europa, wenn auch sehr fragwürdig berechnet, denn die Börsenkapitalisierung im Verhältnis zum BIP wäre nur dann ein geeigneter Maßstab, wenn im Zeitverlauf einb (qualitativ) gleicher Anteil aller Unternehmen an der Börse wäre. Ich vermute, daß das eher zugenommen hat, also die Bedeutung der Börse in Europa überhaupt.
    http://www.ftd.de/boersen_maer…ash%20Modelle/306258.html


    Auszug, fürs Archiv:
    Ein ganz einfacher Ansatz ist zunächst das Verhältnis der Aktienkurse zum nominalen BIP, da die Kurse sich langfristig ja an der Wirtschaftsleistung orientieren sollten. Würden sie das nicht tun, müsste entweder die Bewertung ständig zu-/abnehmen, oder die Gewinne müssten ständig schneller steigen/fallen als das Volkseinkommen; beides kann sowohl theoretisch als auch empirisch eher ausgeschlossen werden. In Deutschland beispielsweise lag das Verhältnis des MSCI Kursindex zum nominalen BIP selbst am Montag noch um rund die Hälfe über dem Durchschnitt seit 1970.


    Mit den Schlusskursen von am Montag gerechnet, notieren die nicht finanziellen Sektoren in Europa mit dem knapp 2,2-fachen Buchwert und dem 12,5-fachen 2008er-Gewinn, wobei für 2008 ein Ergebniszuwachs von 12,5 Prozent und eine Eigenkapitalrendite von gut 17 Prozent unterstellt sind.


    Joe:
    Richtig, von der Spitze 1929 abgesehen war der US-Markt im Jahr 2003 nur für ein paar Monate ein klein wenig unter den bisherigen Bewertungs-Rekordhochs von 1901 und 1966. Wenn man für die nächsten 10 Jahre die Gewinne der letzten 10 Jahre als Näherung nimmt, und die aktuelle Bewertung zugrundelegt, dann entspräche das einer Gewinnrendite von 3,8%.
    Matze: Was das Argument der Höherbewertung angeht: wenn es nur um Informationsasymmetrien geht, dann kann das eigentlich nur Aktien betreffen, und nicht Anleihen, oder? Die Aktienrendite kann keineswegs systematisch niedriger sein als die (normale) Anleihenrendite. Und ~3,8% (+Trendwachstum) scheinen mir niedrig.

    „Lasst uns doch die Quadratur des Kreises probieren.“Robert Habeck über sein Politikverständnis

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  • Zur Archivierung, die Entwicklung der Unternehmensgewinne in Japan (Nikkei?) seit 1970:



    Irgendwo zitierte ich mal eine Quelle, in der es hieß, daß die preisbereinigten Durchschnittsgewinne von 1980-89 höher gewesen seien als die der jüngsten 10 Jahre, was das aktuell immer noch hohe KGV10 erklären würde. Nun, die Inflation vor dem Platzen der Blase muß dann entsprechend hoch gewesen sein, anders paßt es nicht zusammen (*; was für Anleger seit 1980 erst recht betrüblich war, denn die geringen Dividenden mußten auch noch die Inflation ausgleichen). Wenn die obige Grafik Aussagekraft hat, dann paßt sowieso irgendwo was nicht, in puncto Nachholpotenzial der Gewinne.


    Und hier der Nikkei 225:



    Ärgerlicherweise geht der Chart nur bis September. Heute steht der Nikkei 225 (preisgewichteter Kursindex wie der Dow Jones, d.h. ohne Dividenden) bei 8235.


    Fragt mich nicht, was diese grauen Kurven in den Charts zu bedeuten haben; ein gleitender Durchschnitt können Sie nicht sein.


    (*): Inflationsindex: 1970=34.58, 1980=81.77, 1990=100, 2002=106.86, Quelle
    Alternative Quelle: http://commons.wikimedia.org/w…Japan_Economy_editted.png
    Edit: Jahreszahl korrigiert.

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  • Zitat

    Original von Balkenchart


    Gleitender Durchschnitt ueber 200 Monate (?)


    Balkenchart


    Dann aber von rechts nach links. Denn zumindest in der Hausse Phase von '82-'90 müsste ein gleitender Durchschnitt unterhalb des Charts liegen.

  • Zitat

    Original von Balkenchart
    Gleitender Durchschnitt ueber 200 Monate (?)


    Hast du schon mal einen Durchschnitt gesehen der bei steigenen Kursen über dem aktuellen Kursen ist? (Bsp.: 82-86)

    »In meinem Alter begreife ich, dass Zeit mein kostbarster Besitz ist.«
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    »Eine Aktie zu verkaufen die fällt, ist in etwa so, als ob man ein Haus für 100.000 Dollar kauft und es verkauft, sobald jemand 80.000 Dollar dafür bietet.«
    Buffett

  • Ist eine simple Regression. Ob Polynom oder Spline - ohne Daten kann man dazu nichts sagen.

    "If it sounds too good to be true, it probably is."


    "Theoretisch gibt es keinen Unterschied zwischen der Theorie und der Praxis. Praktisch stimmt das aber nicht."


    "Erfahrung ist das was man bekommt, wenn man nicht bekommt was man möchte."

  • "CashfLow" ist ja kein einheitlich definierter Begriff. Genauer gesagt handelt es sich um eine Größe aus einer volkswirtschaftlichen Rechnung, die offenbar nicht so stark schwankt, und nicht um eine aggregierte Größe aus den Bilanzen. Ich weiß nicht, inwiefern das zulässig ist.


    Zu beachten ist auch, daß der Chart nur bis September 08 geht. Näheres hier (Quelle), wo der Autor sich die gleiche Frage stellt wie Du, nixda.

    „Lasst uns doch die Quadratur des Kreises probieren.“Robert Habeck über sein Politikverständnis

    Einmal editiert, zuletzt von Winter ()

  • #winter,


    Cashflow ist sehr wohl ein definierter Begriff. Aggregiert ist das recht einfach der Wert Cash (Zeitpunkt t) abzüglich Cash (Zeitpunkt t-1). Und das gilt für jede Art von Bilanz.


    Das einzige was nicht standardisiert ist, sind die Interpretationen, also was ist freier Cashflow, operativer etc. etc.


    Besonders schwierig ist die Definition bei Finanzwerten, da braucht man es gleich gar nicht versuchen.



    MMI




    MMI

  • Hier etwas für die Mathematiker.


    "Der Weltindex von MSCI für die Industrieländer lag Ende Februar bloß eine Spur über dem Niveau vom Januar 1970.
    Das ergibt sich jedenfalls, wenn der hiesige Anleger "richtig" rechnet, also in realen DM/Euro. Zwar hat sich der in Dollar denominierte Weltindex seit 1970 verachtfacht. Doch dummerweise hat die US-Währung seither von 3,69 auf 1,55 DM/$ abgewertet, und gleichzeitig haben sich selbst hierzulande die Verbraucherpreise mehr als verdreifacht. Macht unterm Strich noch einen realen Zuwachs von sechs Prozent seit 1970 - kumuliert. Rechnet man reinvestierte Bruttodividenden hinzu, ergibt sich seit 1970 eine durchschnittliche jährliche Realrendite von 3,2 Prozent - vor Steuern und Gebühren. Zehnjährige Bundesanleihen haben seither eine mittlere reale Rendite von 4,1 Prozent erbracht".


    http://nachrichten.finanztreff…1565,sektion,maerkte.html

  • Omannomann...


    Jeremy Siegel zeigt, daß man die S&P500-Markt-Bewertungen in der Pfeife rauchen kann, und Robert Shiller gibt ihm offenbar Recht. http://finance.yahoo.com/expert/article/futureinvest/153794


    Hintergrund: Der S&P500-Index wird so berechnet, daß der Börsenwert der S&P500-Firmen gewichtet wird. Aber, und hier ist der Widerspruch: Die Gewinne bzw. Verluste des S&P500 werden einfach aufsummiert, ohne Gewichtung nach Marktwert. Resultat in der aktuellen Situation: Ein paar Firmen mit extremen Verlusten, aber minimalem Marktwert, ziehen das KGV des gesamten S&P500 nach unten.


    Meine Meinung: Für Privatanleger in unserer Lage ist die Gewichtung nach Marktwert sowieso Schwachsinn - ich kenne niemand, der wegen der Marktgewichtung DAX-Aktien für 1.000 ¤ kauft und SDAX-Werte entsprechend nur für 10 ¤. Als Königsweg sehe ich Medianwerte als Grundlage für die Berechnung von Bewertungen.

  • Hallo,


    Shillers Reaktion wirft aber die Frage auf, welche Gewinne er in seinen KGV-10 Rechnungen verwendet. Hoffentlich gewichtet er sie genauso, wie die Firmen im Index gewichtet sind. Wenn er einfach die Zahlen von S&P nimmt, koennen wir die ganze KGV10-Geschichte in die Tonne tun.


    So schlimm wird es aber nicht werden, denn die q-Werte von Smithers und Wright werden ja voellig anders berechnet und haben doch genau dieselbe Tendenz.


    Balkenchart